Zitadelle Verdun

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Die Ursprünge der Zitadelle von Verdun gehen auf das Jahr 1554 zurück, als auf Befehl Heinrich II. mit dem Bau begonnen wurde. Der Bau wurde jedoch nicht vollendet und erst 1624 unter Vauban gingen die Arbeiten weiter. Ab 1664 wurde die Festung Verdun weiter ausgebaut und bekam auch noch eine Umwallung. Aber erst 1850 konnten alle Pläne Vaubans verwirklicht werden.

Während des deutsch-französischen Krieges 1870/71 wurde die Zitadelle im Zeitraum vom 24. August bis 6. November 1870 durch preußische Truppen belagert und beschossen. Erst am 9. November 1870 kapitulierte die Besatzung und übergab die Festung. Bis zum Jahre 1873 hielten deutsche Truppen die Festung besetzt, reparierten Beschußschäden und bauten zwei Pulvermagazine ein.

Nach Abzug der deutschen Truppen modernisierten die Franzosen die Zitadelle in den Jahren 1887 bis 1893. Es wurden Gänge angelegt, die bis zu 16 Meter unter Fels oder Erdreich lagen und eine Länge von insgesamt 4 Kilometer besaßen. Dieses Labyrinth enthielt Pulver- und Munitionsmagazine, große Lager und Unterkünfte für fast 6000 Mann.

Im 1. Weltkrieg wurde die Zitadelle bis zum Beginn der deutschen Offensive 1916 recht wenig beschossen. Dies änderte änderte sich ab dem 21.02.1916, als die Franzosen einen durchschnittlichen Beschuss mit 8000 Granaten monatlich registrierten. Der Beschuss verursachte zwar oberflächliche Schäden, jedoch konnte die Nutzung der Zitadelle unvermindert weitergehen. Im Gegenteil, die Zitadelle wurde zu einem riesigen Unterstand ausgebaut. Stäbe, Reserven, Lazarette, Depots, Bäckereien, Telefonzentralen wurden hier untergebracht. Selbst die Verteidigung der Zitadelle wurde verstärkt, in dem Geschütze und MG`s in den Bastionen eingebaut wurden. Sogar betonierte Bauten errichteten die Franzosen.

Heute ist die Zitadelle zum Teil noch in Nutzung durch die französische Armee, der andere Teil ist touristisch erschlossen und kann in Form einer multimedialen Führung besichtigt werden.

Quelle: Cours de Fortifikation - Fortification Permanente 3e Section "La fortification permanente pendant la guerre 1914 - 1918" Ecole Militaire et D'Application du Genie 1927

Blick auf Bastion

Blick auf Bastion

Nachträglich eingebaute Kaserne vor der Kurtine

Der im 1. Weltkrieg erbaute Westeingang

Blick auf Kurtine und Bastion

Blick auf eine der Bastionen

Hohlgang in der Zitadelle

Nachgestellte Szene der Auswahl des "Unbekannten Soldaten"

Quelle: B. von Tiedemann, Der Festungskrieg im Feldzuge gegen Frankreich 1870-71, Berlin 1872

 

Die Belagerung von Verdun 1870

B. von Tiedemann, Der Festungskrieg im Feldzuge gegen Frankreich 1870-71, Berlin 1872

Verdun, Festung I. Klasse, 12.000 Einwohner, liegt tief im Maasthale, auf beiden Seiten des Flusses; nördlich und westlich wird die Stadt auf Schussweite von Höhen umschlossen, die mit steilem Hange gegen das rechte Ufer des Flusses abfallen. Die Niederung liegt, grösstentheils auf dem linken Ufer; sie wird jedoch durch einen Höhenrücken quer durchbrochen, der, bis in die Stadt sich erstreckend, eine weitreichende Einsicht in die Niederung nach Norden und nach Süden - Letztere war theilweise unter Wasser gesetzt - ermöglicht. Dieser, in westlicher Richtung, wie auch die kahlen , unbedeckten Höhen, auf dem rechten Ufer der Maas, bieten günstige Artillerie-Aufstellungspunkte. Der während des grössten Theiles des Jahres sehr seichte Fluss durchströmt in zwei Armen die Stadt, und ist aus diesem Grunde mehrfach überbrückt.

Die Befestigung ist im Ganzen sehr einfach: im Norden und Süden bastionirte Fronten; die Wallumfassung im Osten erinnert kaum an dies Tracè und im Westen ist die hochgelegene, die Stadt vollständig dominirende Citadelle, mittelst besonderer Anschlusslinien mit der Stadtbefestigung verbunden. Zwischen Stadt und Citadelle ist die hochgelegene, eine Uebersicht auf die Stadt gewahrende, Esplanade zu erwähnen. Ausser mehreren Ravelinen sind keinerlei Aussenwerke vorhanden; die zum Theil nassen Graben aber sind mit Mauerwerken eingefasst und alle Profile so angeordnet, dass die Festung als vollkommen sturmfrei zu erachten ist. Der Kern der Vertheidigung liegt in der formidablen Citadelle; seiner Zeit durch den Marschall Vauban total umgebaut, besteht sie jetzt aus vier bastionirten Fronten, deren jede durch ein vorgelegtes Ravelin verstärkt ist; die fünfte, dem Maasthale zugewendete Front hat eine bedeutende Längenausdehnung; man hat daher die lange Courtine in der Mitte gebrochen, um hierdurch eine bessere Flankirung der Gräben vor den Bastionen zu erzielen; von hier aus erfolgt die Bestreichung der südlichen Stadtfront und eines Theiles der Maasbrücken. Diese Front hat kein die Courtine deckendes Ravelin; sie ist vielmehr unmittelbar auf dem steilen Abhang zur Maas erbaut. Die Citadelle hat ein Feld- und ein Stadtthor, die Stadtbefestigung deren drei, durch welche die Hauptstrasse von Metz, Etain und Bar le Duc eingeführt sind; sie liegen unter den Kanonen der Festung. Im Allgemeinen ist der Festungsrayon bis etwa 2000 Schritt ziemlich frei; mit Ausnahme einiger Ortschaften, der Vorstadt Pave zwischen der nach Etain und Metz führenden Strasse und einigen Gehöften, die bei der Belagerung eine Rolle spielten, und, wie wir das gleich jetzt schon bemerken wollen , zur Behauptung des Vorterrains und zur Ausführung von Offensivstössen Seitens der Garnison sehr geschickt benutzt wurden. Das von der Citadelle westlich liegende Terrain, nach unserer Ansicht das einzige Angriffsfeld gegen Verdun, ist vielfach mit Weinbergen angebaut. Detaschirte Werke fehlen der Festung gänzlich; bombensichere Unterkünfte für die Garnison auf Kriegsstärke sind nicht in der erforderlichen Anzahl vorhanden.

Der Besitz von Verdun war für die vor Paris und im westlichen Frankreich operirenden Heere wichtig, weil die Festung die directe Eisenbahn zwischen dem Mittelrhein, resp. Metz über Chalons nach Paris sperrt. Diese Eisenbahn war, als im Juli 1870 die Kriegserklärung abgegeben wurde, noch im Bau begriffen, und nur auf einer kleinen Strecke fahrbar.

Verdun ist also zur Zeit lediglich eine Kopfstation; die Fertigstellung der Eisenbahn-Strecke Verdun-Metz, wenn auch nur provisorisch, wurde der deutschen Armee vor Paris grosse Erleichterungen hinsichtlich der Nachschübe an Munition, Proviant, Ersatztruppen, sowie für Rücktransporte von Kranken und Verwundeten verschafft haben. Verdun wird ausserdem als Sperrpunkt für die Strasse vom Mittelrhein durch die Argonnen - Pass von les Grandes Islettes - auf Chalons und Paris angesehen.

Das in dortiger Gegend sehr cultivirte Franctireurwesen fand in der Festung einen willkommenen Stützpunkt und der von derselben unseren Truppen entgegengesetzte äusserst zähe Widerstand findet darin eine Erklärung, dass man bis zum letzten Augenblicke hoffte, der Marschall Bazaine werde sich aus Metz durchschlagen und die Garnison entsetzen.

Unmittelbar nach den für die deutschen Waffen erfolgreichen Schlachten um Metz wurde das 12. (Königlich sächsische) Armeecorps von den dortigen Schlachtfeldern auf der Strasse Etain - Verdun resp. Fresnes - Verdun gegen Paris in Bewegung gesetzt und traf daher am 24. August vor dem Platze ein. Es wurde versucht, die Festung durch einen überraschenden Angriff zu gewinnen. Die beim Armeecorps befindlichen Feldbatterien fuhren deshalb auf den zwischen Verdun und Belrupt befindlichen Höhen, östlich von der Festung, auf und beschossen den Platz von 11 Uhr Vormittags ab. Unter dem Schutze dieses Feuers stürmte das Königlich sächsische Schützenregiment No. 108 mit grosser Bravour und unter starkem feindlichen Feuer die Vorstadt Pave, welche unmittelbar vor dem Festungsglacis zu beiden Seiten der nach Etain führenden Strasse liegt. Ein Parlamentair, Premier-Lieutenant von Schimpf, wurde in die Festung geschickt, kehrte aber ohne Erfolg aus derselben zurück; sein Trompeter wurde bei dieser Gelegenheit erschossen. Der General Marmier, interimistischer Commandant, gab die Antwort, lieber auf den Trümmern der Festung sich begraben zu lassen, als selbige zu übergeben. Da ein weiteres Vorgehen gegen die Festung unmöglich war, und der Vormarsch nach Paris nicht verzögert werden durfte, so setzte demnächst das Armeecorps denselben fort und überschritt noch am nämlichen Tage, ober- und unterhalb der Festung die Maas, die 47. Infanteriebrigade zur Beobachtung des Platzes zurücklassend.

Der Kampf hatte festgestellt, dass die Festung sturmfrei, vertheidigungsfähig, hinlänglich besetzt und ausreichend mit schwerem Festungsgeschütz armirt war.

Eine Proviant- oder Munitions-Colonne, welche der Meinung war, dass der Platz bereits in unseren Händen sei, fuhr geradenwegs in die Festung und gerieth so in die Gewalt der Besatzung; dies geschah auch mit einer von Sedan kommenden Feldpost.

Am 7. September wurde vorbenanntes Detaschement durch ein stärkeres unter dem Befehl des General-Lieutenants von Bothmer abgelöst: dasselbe bestand aus dem Rheinischen Infanterie-Regiment No. 65, dem Schlesischen Reserve-Husaren-Regiment No. 4, dem 2. Pommerschen Ulanen-Regiment No. 9 und zwei reitenden Geschützen nebst einer schweren Reservebatterie des 7. Armeecorps. Davon wurde das Ulanen-Regiment und der Zug reitender Artillerie für das linke Maasufer bestimmt - aber bald abberufen, wahrend der Rest des Detaschements die Cernirung der Festung auf dem rechten Maasufer übernahm; auch von diesem wurde das 1. Bataillon des Infanterie-Regiments No. 65 zur Sicherung der Etappenstrasse zwischen Sedan und Montmedy abcommandirt, so dass unter diesen Umstanden die Einschliessung der Festung nur eine sehr unvollkommene war. Inzwischen wurde Artilleriematerial aus Toul und Sedan herangezogen. Es war nicht zu verhindern, dass in Folge der schwachen Cernirung die Garnison namhafte Zuzüge von Versprengten und entsprungenen Gefangenen erhielt und gut davon unterrichtet blieb, was ausserhalb der Festung vorfiel.

Am 15. September fand bei Maxeville ein kleines Gefecht statt; ein Fouragirungs-Commaudo, bestehend aus der 7. Compagnie des 65. Regiments und einem Zuge Husaren , wurde durch vier französische Compagnien und eine Escadron der Chasseurs d'Afrique angegriffen; wiewohl die requirirten Gegenstande in Sicherheit gebracht wurden, hatte doch die Infanterie 8 Todte und 15 Verwundete.

Am 18. September hatte die genannte Compagnie ebenfalls ein Gefecht mit drei französischen Compagnien, die unter dem Schutze der Dämmerung gegen Belleville ausgefallen waren, indessen zurückgeworfen wurden., wobei die Preussen einen Verlust von 8 Mann todt und verwundet hatten. Die Festungsartillerie griff gegen Schluss des Gefechtes mit Erfolg ein.

Am 23. September trafen vier Rheinische Landwehrbataillone (Aachen, Jülich, Simmern und Andernach), ein Reserve-Ulanen-Regiment und eine schwere Batterie der 8. Artilleriebrigade beim Cernirungsdetaschement ein. In Folge dieser Verstärkung wurde die Festung enger, besonders auf dem linken Maasufer, eingeschlossen. Den Befehl über die Belagerungstruppen hatte nach Beförderung des General-Lieutenants von Bothmer zum Commandeur der 13. Division der Generalmajor von Gayl, Commandeur der 2. Infanteriebrigade, übernommen; sein Hauptquartier war in dem an der Maas gelegenen Dorfe Charny.

Am 24. September wurde die 10. Compagnie des 65. Infanterie-Regiments bei Charny von überlegener französischer Infanterie und einer Escadron Chasseurs angegriffen, welche jedoch mit Hilfe einer schleunigst aus Bras herangezogenen Unterstützung wieder in die Festung zurückgeworfen wurden; der diesseitige Verlust betrug 4 Mann.

Am 25. September beschossen die beiden beim Cernirungsdetaschement befindlichen Batterien die Südfront der Stadtbefestigung und die Citadelle mit etwa 200 Granaten, welches Feuer die Festung lebhaft erwiderte; ein Ausfallversuch wurde zurückgewiesen.

In der Nacht vom 25. zum 26. September erbaute man einige Geschützemplacements, unter anderen bei Belrupt, welche Arbeit durch den steinigen Boden ungemein schwierig war.

Am 2. October griffen mehrere französische Compagnien und eine Escadron Chasseurs die 6. Compagnie des 6. Infanterie-Regiments an, wurden indessen abermals nach hartem Gefecht in die Festung zurückgeworfen.

Bei der verhältnissmässig geringen Stärke der Einschliessungstruppen war es nicht möglich, den sehr rührigen und thätigen Feind aus seinen Stellungen im Vorterrain vollständig in die Festung zu treiben; er behielt unter anderen die Dörfer Thierville und Regret im Westen der Festung, beide von der Citadelle beherrscht, im Besitz.

Am 2. und 3. October wurde daher eine kräftige Beschiessung dieser Ortschaften durch die Reservebatterie der 8. Artilleriebrigade ausgeführt, wie denn auf der ganzen Cernirungslinie fortwährende Beunruhigungen und kleine Plänkeleien in das Werk gesetzt wurden. Dadurch, dass die Franzosen noch verschiedene Positionen vor der Festung inne hatten, wurden jene Gefechte besonders hervorgerufen und begünstigt, so dass es unumgänglich nothwendig war, die Besitznahme der äusseren Stellungen der Franzosen zu vollziehen. Demzufolge wurde zunächst der Angriff auf Thierville befohlen und derselbe am 11. October dem 1. Bataillon des Rheinischen Infanterie-Regiments No. 65 übertragen, welches Tages zuvor von seinem Commando zur Sicherung der Etappenstrasse nach Sedan vor Verdun eingetroffen war. Das Dorf war von drei Compagnien Mobilgarden besetzt. Das besagte Bataillon ging in drei Colonnen vor, warf sich mit Hurrah auf die Feldwache und gegen die Eingänge des Dorfes und trieb nach kurzem, an nur wenigen Stellen geführten Kampfe die Besatzung zum Dorfe hinaus. Nachdem sich das Bataillon in demselben durch Vertheidigungseinrichtungen, Barrikaden und Schützengräben festgesetzt und die 4. Compagnie auf den Weinbergen süd-westlich des Dorfes Stellung genommen hatte, versuchte der Feind von Verdun aus über Jardin Fontaine vorrückend, das Dorf wieder zu erobern. Dieser Versuch wurde nach kurzem Kampfe zurückgewiesen. Das 1. Bataillon des 65. Regiments hatte bei der Besitznahme von Thierville einen Verlust von nur zwei Todten nnd einem Verwundeten.

Im Laufe , des 12. October wurde in Thierville und Umgegend eine grosse Anzahl versprengter Franzosen aufgegriffen, denen es nicht gelungen war, die Festung, in welcher sie Aufnahme hofften, zu erreichen. Am Abend dieses Tages erhielten die 3. und 4. Compagnie des 65. Regiments, unter dem Befehle des Hauptmanns Michaelis, den Auftrag, sich in den Besitz des Faubourg Jardin Fontaine zu setzen, welcher unmittelbar vor dem Glacis der Festung liegt. Während gleichzeitig vom 2. und Füsilierbataillon des Regiments einige andere im nächsten Bereiche der Festung gelegene Punkte, so unter anderen Regret, Belleville, Glorieux, die Pachthöfe St. Barthelemy und Constantine, auf dem rechten Maasufer besetzt wurden, entwickelte sich bei Jardin Fontaine ein sehr heftiges anhaltendes Feuergefecht, bei welchem die Vertheidiger durch das Geschütz-, Infanterie- und Mitrailleusenfeuer der Citadelle kräftig unterstützt wurden. Nach 1½ stündigem nächtlichen Kampfe gelang es indessen, sich in dem Faubourg festzusetzen und zu verbarrikadiren. Begünstigt durch die Nacht und das schlechte Schiessen der Franzosen betrug der Verlust der angreifenden beiden Compagnien des 65. Regiments nur einen Todten und gegen zwanzig Verwundete. Erst nach diesen Gefechten konnte an Ausführung der eigentlichen Beschiessung der Festung gedacht werden. Dieselbe sollte von zwei Seiten erfolgen und mussten dazu folgende Batterien erbaut werden: 1) im Norden von Verdun auf der Höhe von Belleville sechs Batterien, vom linken Flügel beginnend, armirt mit je sechs preussischen gezogene 6pfünder, sechs französischen gezogene 12pfünder, vier 22Ctm.-Haubitzen, acht französischen gezogene 24pfünder in 2 Batterien à 4, und sechs französischen gezogene 12pfünder, 2) im Westen von Verdun auf dem linken Ufer der Maas , auf der Hohe von Thierville: fünf Batterien, armirt mit je sechs französischen gezogene 12pfünder, sechs dergleichen, sechs französischen gezogene 24pfünder, sechs preussischen gezogene 6pfünder, und vier französischen schwere Mörser.

Der Bau der Batterien geschah in der Nacht vom 12. zum 13. October unter ungewöhnlich schwierigen Verhältnissen; bei dem regnerischen und stürmischen Wetter wurden die Arbeiten vom Feinde nicht bemerkt. Die Kürze der Zeit hatte nicht gestattet, den vollen Bedarf an Batteriebau-Material fertig zu stellen. Für die schweren Geschütze waren nur Nothbettungen, für die leichteren gar keine Bettungen vorhanden. Es fehlte an Schanzzeug und Utensil, und der schwere zum Theil felsige Boden musste überall erst mit der Hacke gelockert werden. Dazu kam noch, dass die gezogenen 24pfünder erst Nachts 1 Uhr aus Sedan eintrafen, und zwar im Marschlager liegend; ohne Hebezeug machte es unendliche Mühe, dieselben zum Schiessen einzurichten und in Batterie zu bringen. Trotzdem waren alle Geschütze um 6 Uhr Morgens zum Schiessen fertig, und begann um diese Zeit das Feuer mit einem "Hurrah" auf Se. Majestät den König.

Als Ziel für die 24pfünder waren zunächst die hohen Gebäude in der Citadelle, demnächst die Geschütze auf den Wallen derselben bezeichnet. Sodann sollte versucht werden, einen Theil der hohen Escarpen-Mauer in Bresche zu legen. Die gezogenen 12- und 6pfünder hatten die Aufgabe, das Feuer der feindlichen Geschütze auf sich zu ziehen und womöglich zum Schweigen zu bringen, ausserdem gegen etwaige Ausfalle zu wirken. Die schweren Haubitzen und Mörser hatten endlich die Bestimmung, die eigentliche Stadt zu bombardiren, um durch die Einwohner eine Pression auf den Contmandanten auszuüben.

Der Bau der Batterien war ohne Störung von feindlichem Feuer vor sich gegangen, eben so blieben die ersten Schüsse ohne Erwiderung; aber nicht lange wahrte es, bis sich auf sämmtlichen angegriffenen Fronten ein nicht zu verachtender Gegner erhob , der uns nichts schuldig blieb und Schuss um Schuss wohlgezielt erwiderte. Zwar gelang es im Laufe des ersten Nachmittags, mehrere Magazine der Citadelle in Brand zu schiessen, einzelne Geschütze wurden zeitweise zum Schweigen gebracht, ebenso an vielen Stellen der Stadt Brande erzeugt, doch wollte die weisse Flagge der Uebergabe sich nicht zeigen, trotzdem das Feuer über volle 54 Stunden Tag und Nacht fortgesetzt wurde. Der grossen Entfernung wegen (durchschnittlich 2400 Schritt) und wegen der Ungenauigkeit im Schiessen der schweren französischen Kaliber konnte von einer eigentlichen Bresche nicht die Rede sein, so dass für die Infanterie kein Feld der Thätigkeit sich eröffnete. Die Festungsartillerie war sehr rührig, schoss gut und brachte zum Oefteren neue Geschütze in Position. Das vorbeschriebene Bombardement, welches dem Belagerungscorps 6 Offiziere, darunter von der Artillerie, und zwischen 60 und 70 Mann an Todten nnd Verwundeten kostete, musste theils wegen fehlender Munition. theils wegen Mangels an geeigneten Geschützen schliesslich eingestellt werden, da die in Sedan vorgefundenen und nach Verdun geschafften französischen Stücke sich in ihrer Wirkung unzureichend erwiesen. Man leitete daher schleunigst materielle und personelle Verstärkungen in der Belagerungs-Artillerie ein.

Bei alledem wurde der Versuch gemacht, durch Entsendung eines Parlamentairs die Uebergabe der Festung durch den Commandanten General Guerin de Waldersbach herbeizuführen, was aber kein Resultat hatte: der Commandant forderte vielmehr den Commandirenden der Belagerungstruppen, Generalmajor von Gayl, auf, die Belagerung einzustellen , da die Besatzung sowohl als die Bürgerschaft bereit waren, ihre Pflicht bis zum letzten Augenblick zu erfüllen; dem französischen Commandanten wurde eine gebührende Antwort zu Theil.

Am 18. October wurde eine kriegsgerichtliche Execution an einem französischen Notar, Namens Violard, vorgenommnen, welcher der Verrätherei gegen preussische Truppen überführt, beim Dorfe Bras erschossen wurde. In derselben Zeit bemerkten die Vorposten bei Maxeville eine aeronautische Post, welche an die Regierung zu Tours gerichtete Briefschaften abwarf, aber selbst nicht abgefangen werden konnte.

Inzwischen wurden die technischen Vorbereitungen zu einer förmlichen Belagerung und zwar einer solchen nach abgekürztem Verfahren getroffen: bedeutende Munitionsvorräthe und preussische Belagerungsgeschütze langten im Artilleriebelagerungspark an. Die Garnison fuhr in ihrer energischen Vertheidigung fort und unternahm am 28. October bei Tagesanbruch gleichzeitig zwei Ausfälle gegen die preussischen, im Norden und Westen der Festung gelegeneu Batteriestellungen. Bei dem ersteren griff der Feind das Dorf Belleville von allen Seiten an: die dort stehende Compagnie des 65. Infanterie-Regiments warf ihn nach eingetroffener Verstärkung, leider mit einem Verlust von 1 Offizier 52 Mann an Todten, Verwundeten und Vermissten zurück. Die vom Feinde bei dieser Gelegenheit beabsichtigte Zerstörung der Batterien beschränkte sich darauf, ein bereits auf demontirter Laffete befindliches Geschütz gänzlich unbrauchbar zu machen. Bei dem andern, gegen die westlich in der Umgebung von Thierville gelegenen Batterien gerichteten Angriff waren die Franzosen glücklicher, indem es ihnen gelang , die dort befindlichen Geschütze zu vernageln. Die Verluste hierbei waren auf beiden Seiten nicht unerheblich; die beschädigten Geschütze wurden übrigens noch an demselben Tage wieder in brauchbaren Zustand versetzt.

Der Fall von Metz ermöglichte es dem Cernirungscorps von Verdun ansehnliche Vermehrung an Truppen und Geschütz zuzuführen; so trafen das 7. Brandenburgische Infanterie-Regiment No. 60, das 8. Jägerbataillon, das Rheinische Pionierbataillon No. 8 ein; in Summa hatte das Corps eine Starke von etwa 15.000 Mann, darunter 2000 Artilleristen. Zum Commandeur der Belagerungsartillerie resp. Ingenieure wurden die Obersten Meissner und Riedel ernannt. Man traf unverweilt alle technischen Vorbereitungen zu einer förmlichen Belagerung; so wurde die Anfertigung von weiterem Batterie- und Trancheebaumaterial betrieben, Hölzer für Blindagen geschlagen, Eisenbahnschienen beschafft und dergleichen mehr: 140 Geschütze mit einer Ausrüstung von 1000 Schuss waren zur Stelle.

Während dieser Vorkehrungen gab der Commandant die Absicht kund, Verhandlungen wegen einer Capitulation anzuknüpfen, welche ihm, um Blutvergiessen und die Zerstörung der Stadt zu vermeiden, nach dem Falle von Metz, gerechtfertigt erschien; zu diesem Zwecke wurde eine achttägige Waffenruhe bewilligt und am 8. November erfolgte die Capitulation der Festung und Stadt Verdun.

2 Generale, 11 Stabsoffiziere, 150 Offiziere niederen Grades und etwa 4000 Mann wurden zu Gefangenen gemacht. 136 Geschütze, 23.000 Infanteriegewehre, eine Anzahl vorzüglicher arabischer Pferde und sehr bedeutende Bestände an Kriegsmaterial fand man vor.

Die Capitulationsbedingungen waren für den Feind sehr günstig gestellt, weshalb wir sie hier folgen lassen:

Art. I. Die Festung und Stadt Verdun mit allem Kriegsmaterial, den Vorräthen jeder Art, den Archiven und Allem, was Staatseigenthum ist, werden am 9. November dem General von Gayl in dem Zustande übergeben, worin sich alles im Augenblicke der Unterzeichnung der Convention befindet, mit der ausdrücklichen Bedingung, nach dem Friedenschlusse an Frankreich zurückgegeben zu werden. Am Mittwoch den 9. November 1870, um 10 Uhr Morgens, werden der Platz und die Citadelle von Verdun den preussischen Truppen übergeben. Zu derselben Stunde werden Artillerie- und Ingenieur-Offiziere mit einigen Unteroffizieren in den Platz gelassen, um die Pulvermagazine zu besetzen und die Minen zu entladen.

Art. II. Die Garnison ist kriegsgefangen, jedoch sollen die in Verdun gebürtigen Mobilgardisten und die ansässige Nationalgarde nach ihrer Entwaffnung frei sein und keiner der Vertheidiger Verdun's beunruhigt werden. Die Gendarmerie wird nach ihrer Entwaffnung frei sein und ihre Pferde behalten. Die Handwerksmeister der Corps werden nicht als Militairpersonen angesehen und sind ebenfalls frei.

Art. III. Die Waffen, wie alles Kriegsmaterial, bestehend in Kanonen, Pferden. Kriegskassen, Fuhrwerken, Munition etc, werden in Verdun Militair-Commissionen überlassen, die von dem General-Ober-Commando ernannt sind, und dieselben sofort preussischen Commissaren übergeben, um im Augenblick des Friedens an Frankreich zurückzufallen. Die entwaffneten Truppen werden nach ihren Corps in Ordnung zu den für jedes Corps bestimmten Orten geführt; sie behalten ihre Tornister und ihre Effekten.

Art. IV. Die Offiziere und Personen ihres Ranges , welche die Gefangenschaft vorziehen und ihr Ehrenwort geben, sich am bestimmten Tage an einem im voraus bezeichneten Platze zu befinden, sind frei, sich allein dahin zu begeben. Alle behalten ihre Waffen, ihre Effekten und Pferde.

Art. V. Die Militairärzte bleiben zur Behandlung der Verwundeten zurück, sie werden nach der Genfer Convention behandelt. Ebenso ist es mit dem Personal der Lazarethe.

Art. VI. Die Stadt Verdun bleibt frei von jeder Kriegssteuer und Requisition an Geld. Die Personen, das Eigenthum. die bürgerlichen und religiösen Anstalten werden geachtet. So viel als möglich werden die Truppen in den Militairgebäuden einquartirt, mit Ausnahme des Falles ausserordentlicher Durchzüge.

Art. VII. Alle öffentlichen Verwaltungen, die Civil- und Handelsgerichte, das Notariat, der Handel und die Industrie bleiben in freier Thätigkeit.

Art. VIII. Einzelne Punkte, die sich noch darbieten, werden in einem Anhange geregelt. der dieselbe Kraft wie die gegenwärtige Convention haben soll.

Dass zu dieser, dem Feinde ausserordentlich günstigen, Capitulation ganz bestimmte Gründe vorgelegen haben darüber besteht wohl kein Zweifel; in die Oeffentlichkeit sind sie nicht gedrungen. Man hatte sich vor Verdun gegenseitig kennen gelernt und war überzeugt, dass eine Belagerung viel Zeit und Materia1 und Truppen gekostet haben würde. Beides konnte unter den damaligen Verhältnissen jedenfalls besser verwerthet werden.

Die Citadelle war arg verwüstet, ein Strohmagazin abgebrannt und was an Gebäuden überhaupt möglich war zu zerstören, war vernichtet. Die Stadttheile, welche nahe den Werken gelegen, hatten gleichfalls viel gelitten, weniger die Hauptstrassen und selbst die hochstehende Cathedrale mit ihrem Observatorium war von den preussischen Granaten verschont geblieben. Die Stimmung der Bürgerschaft war den Umständen gemäss; sie hatte diesmal nicht zu befürchten, dass wie nach der preussischen Eroberung 1792 , als mehrere Offiziere einen Ball gaben, das Revolutionstribunal 15 junge Mädchen, das jüngste 17 Jahre alt, guillottiniren liess, weil sie mit preussischen Offizieren getanzt hatten.

Letzter Stand: 07.11.2016