Belagerung von Straßburg 1870

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Aus dem Buch B. von Tiedemann, Der Festungskrieg im Feldzuge gegen Frankreich 1870-71, Berlin 1872 hier die Beschreibung über die Festung Straßburg im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71:

Strassburg mit 85.000 Einwohnern, Hauptstadt des Elsass, von der wasserreichen, schiffbaren, in fünf Arme getheilten Ill durchströmt und 4 Stunde vom Rhein entfernt, ist ein Waffenplatz von höchster strategischer Bedeutung; er beherrscht den dortigen Rheinübergang nach Deutschland und ist deshalb mit Metz und Paris einerseits, mit Lyon andererseits durch Eisenbahnen, Strassen und Canäle in Verbindung gebracht. Es ist zugleich ein wichtiger militairischer Depotplatz für Ausstattung der Cavallerie, besitzt eine Geschützgiesserei und ein Arsenal zur Anfertigung für Laffeten und Artilleriegeräthschaften.

Der Kern der Vertheidigungswerke liegt in der vom Marschall Vauban 1685 erbauten Citadelle mit fünf bastionirten Fronten, welche durch zwei vorgeschobene Hornwerke und eine Anzahl kleinerer Werke nach dem 120 Ruthen breiten Rhein zu verstärkt ist; ihre Werke überhöhen die Stadtumwallung. Nördlich und südlich wird die Stadt von einer nach Specle's Manier bastionirten Umwallung mit langgestreckten Courtinen und geräumigen Bastionen umschlossen, die sich bei der Esplanade der Citadelle anfügen. Da, wo diese Befestigungen das National- und Steinthor treffen, springen sie weiter in das Feld vor, indem sie die einmündenden Strassen von Wasselonne und Molsheim bez. von Weissenburg mittelst vorgeschobener Erdwerke decken, wozu u. a. die in der Belagerung öfters genannten Lünetten 52 und 53 gehören. Die Westfront hat in der Hauptumwallung den Charakter der eben beschriebenen Festungslinie; nur die Bastionen No. 10, 11 und 12 auf der Nordwestecke sind mehrerer Sicherung mit Contregarden versehen. Um der Westfront eine grössere Vertheidigungsstärke zu geben sind, zwei geräumige Hornwerke vorgeschoben; diese und die beiden Lünetten 52 und 53 sind durch ein gemeinschaftliches Glacis verbunden, welches in geeigneter Weise sich an die Nord- und Südfront anschliesst. Die Profilverhältnisse der Werke sind zweckentsprechend ängeordnet; man findet 18-30 Fuss hohe Escarpenmauern, je nach der Wichtigkeit der Werke; dieserhalb und weil die mit einer Lünette versehenen Gräben mit hinreichendem Wasser versorgt werden können, ist die Festung überall als sturmfrei zu erachten; die Mehrzahl der erforderlichen Traversen ist vorhanden; aber die Anzahl bombensicherer Unterkünfte für Truppen, Kriegsmaterial und Proviant ist unzureichend; detaschirte Forts fehlen gänzlich.

Ein ausserordentliches Vertheidigungsmittel besitzt Strassburg in der Möglichkeit, die Ill zu einer für die Festung zwar nur theilweisen doch wirksamen Ueberschwemmung zu benutzen; zu diesem Zweck ist beim Eintritt der Ill in die Stadt eine grosse Inundationsschleusse erbaut; diese und die übrigen zahlreichen für die Wassermanöver erforderlichen Schleusenwerke befinden sich in gutem Zustande und haben eine solche gedeckte Lage, dass sie aus der Ferne durch Feuer nicht so leicht zerstört werden können. Das im Süden der Festung gelegene Vorterrain umfasst niedrig gelegene, mit vielen Wasserläufen durchzogene Wiesen; es kann mittelst der Inundation auf weite Strecken ausserhalb der Wege und des Artillerieschiessplatzes unter Wasser gesetzt werden; dies kann auch mit dem niedrigliegenden Terrain längs des Glacisfusses der Nordfront und dem vor der Hauptumwallung der Nordwestfront befindlichen Glacis geschehen.

Das Vorterrain der Festung ist flach und stellenweise die Einsicht in dasselbe theils durch zahlreiche Gebäulichkeiten, theils durch Pflanzungen behindert; nur die westliche Front erhebt sich mit kaum merklichen Steigungsverhältnissen zu den 1½ Stunden vor der Stadt befindlichen Vorbergen der Vogesenabfälle.

Die Eisenbahn, welche die Stadt im Süden und Westen umkreist, hat zwei Bahnhöfe - eine Kopfstation im Innern der Stadt, eine Haltestelle ausserhalb derselben beim Austerlitzer Thor; ein dritter Bahnhof befindet sich im Westen ausserhalb der Stadt; seiner wird in der Belagerung öfter gedacht werden. Die Eisenbahn überschreitet mehrere mit dem Rheine in Verbindung stehende Wasserarme und diese selbst auf einer 309 Meter langen Gitterbrücke, welche 1858-61 erbaut wurde; ausserdem vermittelt eine Schiffbrücke den Verkehr zwischen beiden Ufern.

Das Innere der Stadt bekundet deutschen Ursprung und Vergangenheit; beides tritt sowohl in deren Bauart, wie in dem inneren und äusseren Verkehr der Einwohner hervor. Von besonderem Interesse ist der herrliche Münster, bekanntlich eines der hervorragendsten Denkmale deutscher Baukunst. Derselbe 510 von Clodwig gegründet, 1007 durch Blitzstrahl zerstört, wurde nach Erwin von Steinbach's Plänen wieder hergestellt und 1439 durch Hans Hültz aus Cöln vollendet.

Die Handelsbeziehungen sind wegen der vortheilhaften Lage für dergleichen sehr belebt; der Zusammenfluss von vier Eisenbahnen, der Strassen von Paris, Lyon, Basel und die Gelegenheit zu Wasserverbindungen (Rhone-, Rhein- Marnecanal) und die Nähe des Rheines sind für den Handelsverkehr von grosser Wichtigkeit.

Unmittelbar nach der von Frankreich überraschend und ohne Grund an Preussen abgegebenen Kriegserklärung schien es, als wenn Strassburg vom Kriege unberührt bleiben sollte; denn es war wahrscheinlich, dass die französische Kriegführung in Deutschland mit einem Vorstosse gegen Cöln, unter Anlehnung der rechten Flanke gegen Rheinbaiern begonnen haben würde. Als aber Süddeutschland sich an Preussen schloss, änderte sich die Sachlage: ein neuer Aufmarsch der französischen Armee musste schleunigst in die Wege geleitet werden und für Strassburg rückte die Möglichkeit einer ernstlichen Bedrohung näher. Allen Nachrichten zufolge, stand vor der Schlacht bei Wörth das 6. Corps unter Befehl des Marschalls Canrobert in und bei Strassburg; nach dem Verlust der Schlacht marschirte dasselbe in der Richtung auf Metz ab, wobei so tief in die Garnisonverhältnisse von Strassburg eingegriffen wurde, dass selbige in eine sehr üble Lage kamen. Nicht einmal eine Geniecompagnie liess man in der nunmehr gefährdeten Festung zurück, deren Garnison zum grössten Theil aus Nationalgarden bestand; eine grosse Anzahl Versprengter aus der Schlacht bei Wörth fanden daher in Strassburg eine willkommene Aufnahme, dessen Thore sich zugleich für viele Tausende flüchtiger Landbewohner öffneten. Die Schiffbrücke wurde abgefahren und die Eisenbahngitterbrücke am 22. Juli badischerseits gesprengt; von französischer Seite legte man nur die Drehbrücke auf den Landpfeiler, zerstörte dagegen mehrere Brücken der Eisenbahn über den kleinen Rhein, bei Neuhof etc. Die fortifikatorische und artilleristische Armirung gelangte nur in ihren allerersten Anfängen zur Ausführung, als der Feind im Festungsrayon erschien.

Nach dem am 6. August durch die III. Armee erfochtenen Siege bei Wörth wurde die Verfolgung der abziehenden Franzosen überall eingeleitet. Die Grossherzoglich badische Division, die auf dem äussersten linken Flügel der Armee gestanden und an der Schlacht selbst nicht Theil genommen hatte, erhielt den Befehl, in dem Elsass zunächst in der Richtung nach Strassburg vorzudringen.

Am 8. August traf die Spitze der Division vor Strassburg ein; man glaubte, die Festung sei fast ausschliesslich von Nationalgarden besetzt und wusste genau, dass ihre fortifikatorische Armirung unvollendet sei. Der Divisions-Commandeur, General-Lieutenant von Beyer, blieb mit dem Gross der Avantgarde 11 Stunden vor Strassburg und schickte den Major von Amerongen in die Festung, um unter Darlegung der schweren Unfälle der französischen Feldarmee den Commandanten zur Uebergabe des Platzes aufzufordern. Derselbe wies aber diese Zumuthung schroff zurück und hierauf zog sich die zu dieser Recognoscirung bestimmt gewesene Avantgarde wiederum nach Brumath zurück. Uebrigens liess die Garnison den Feind unbehelligt bis an das Glacis kommen und machte keinen Versuch, die Eisenbahn nach Mühlhausen resp. Lyon oder den Telegraphen nach dort zu zerstören, was nunmehr unsererseits besorgt wurde. Ein Grossherzoglich badisches Cavallerie-Detaschement, unter Führung des Lieutenants Winsloe zerstörte am 10. August die Eisenbahn bei Geispoldsheim, 2 Meilen südlich von Strassburg. Inzwischen rückte das Gros der Division näher heran, so zwar, dass am 12. August die Cernirungsstellung derselben eingenommen war, selbige erstreckte sich auf dem ganzen Umfange des Vorterrains, mit Ausnahme der Südseite — diese wurde durch im Süden von Strassburg über den Rhein gegangene Abtheilungen aus Rastadt bewirkt - Kehl wurde besetzt und die Verbindung mit Kolmar zerstört. Die Franzosen liessen sich in den Armirungsarbeiten auf dem Glacis und im Rayon nicht stören; sie arbeiteten am Traversenbau und der Vertheidigungseinrichtung, der Wälle, Beseitigung der Glacispflanzungen, sowie an der Pallisadirung und Verbarrikadirung der Zugänge; in der Absicht, diese Ausführungen zu stören, fanden am 13. August drei kleine Rencontres statt.

Nachdem schon im Laufe des Nachmittags einige ausgewählte Schützen sich nahe dem Glacis eingerichtet und unbehelligt durch das heftige Geschützfeuer von den Wällen, die Glacisarbeiten wesentlich gestört hatten, rückte um 1 Uhr Nachts eine Compagnie des Grossherzoglich badischen 2. Grenadier-Regiments, König von Preussen, in gleicher Richtung vor, um die inzwischen aus der Festung bis an den Fuss des Glacis vorgegangenen feindlichen Infanterie-Abtheilungen zu vertreiben, was durch ein sich entspinnendes Feuergefecht mit Glück ausgeführt wurde. Die nach Lösung ihrer Aufgabe zurückmarschirende Compagnie wurde nun durch heftiges Kartätsch- und Gewehrfeuer aus der Festung verfolgt und hatte 3 Todte und 11 Verwundete, unter letzteren 1 Offizier.

In einer anderen Richtung gingen um 9 Uhr Abends zwei kleine Detaschements des Grossherzoglich badischen Leib-Grenadier-Regiments, von je einem Lieutenant geführt, mit Brennmaterial gegen den vor der Westfront liegenden Bahnhof vor und steckten einen daselbst stehenden beladenen Eisenbahnzug in Brand. Zwei Züge Infanterie folgten schnell bis an die Contreescarpe des Grabens, gaben auf die auf dem Walle erscheinenden Mannschaften, resp. die dort stehenden Geschütze ihr Feuer ab und zogen sich hierauf rasch wieder zurück. Eine Feldbatterie war inzwischen bis auf 2500 Schritt an die Festung herangezogen und feuerte auf die von den hellbrennenden Waggons beleuchteten Werke. Der Feind eröffnete hier ein lange andauerndes, aber total wirkungsloses Feuer. An einer dritten Stelle war schon um 11 Uhr Vormittags eine Compagnie des Grossherzoglich badischen 5. Infanterie-Regiments unter einstündigem Feuer mit Störung der feindlichen Arbeiten beschäftigt gewesen, ohne Verluste zu erleiden.

Am 14. August wurde folgende Proklamation des Ober-Commandanten und Divisionsgenerals Uhrich vom 10. d. M. bekannt gemacht: An die Bewohner Strassburg's!

Beunruhigende Gerüchte, Schreckensnachrichten sind in den letzten Tagen absichtlich oder unabsichtlich ausgestreut worden in unserer tapferen Stadt. Einige haben sogar zu behaupten gewagt, die Stadt werde sich ohne Gegenwehr ergeben.

Wir protestiren dagegen im Namen der muthigen französischen Bevölkerung, als gegen feige und verbrecherische Schwäche. Die Wälle sind mit 400 Kanonen besetzt, die Besatzung beträgt 11.000 Mann ohne die Nationalgarde. Wird Strassburg angegriffen, so vertheidigt sich Strassburg, so lange noch ein Soldat, ein Brod und eine Patrone da ist. Die Gutgesinnten mögen sich beruhigen, die Anderen aber können gehen, wohin sie wollen.

Strassburg, den 10. August 1870.

Der Divisionsgeneral und Ober-Commandant

Uhrich.

Der Präfect vom Niederrhein

Baron Pron

Am 14. August, um 5 Uhr früh, ging eine Compagnie des Grossherzoglich badischen 5. Infanterie-Regiments gegen den Bahnhof vor und eröffnete vom Bahndamm aus ihr Feuer gegen die auf dem Glacis befindlichen Arbeiter, welches zum Theil aus Festungsgeschützen heftig erwidert wurde und jener Compagnie einen Verlust von drei Schwer- und zwei Leichtverwundeten verursachte.

Im Laufe des Tages gab General von Beyer das Commando der Grossherzoglich badischen Division an den General Freiherr von La Roche, Commandeur der Cavallerie-Brigade, ab. Derselbe wurde unter Befehl des Königlich preussischen General-Lieutenants von Werder, Befehlshaber des zu formirenden Belagerungscorps, gestellt.

Abends unternahm die Garnison einen Ausfall bis in die Gegend des englischen Hofes bei Hoenheim.

Am 15. August, früh 4 Uhr, sprengten Grossherzoglich badische Pioniere die eiserne Brücke, welche unterhalb der Orangerie über den Rhein-Marne-Canal nach Robertsaue führt. Feldartillerie beschoss aus gedeckten Stellungen die Armirungsarbeiten, um solche zu stören, während unter dem Schutze der Nacht Schützen bis dicht vor die Wälle ausschwärmten, was häufige Alarmirungen der Garnison zur Folge hatte. Lingolfsheim, Wolfsheim, Schiltigheim und Robertsau waren bereits im Besitz der Cernirungstruppen, so dass der Platz im Westen und Norden eng eingeschlossen war; im Süden reichte die Cernirung bis Ostwald; in ihrem Besitz befanden sich die Eisenbahnhöfe von Brumath (nach Nancy und Metz), Mutzig und Colmar und die grossen Strassen nach Sels, Hagenau, Zabern, Barre, Colmar und Basel. Der Verkehr Strassburg's landwärts war so gut wie abgeschnitten. Man vermuthete eine unterirdische Telegraphenleitung nach der 7½ Meilen entfernten Festung Schlettstädt.

16. August. Verlegung des Hauptquartiers nach Mundolsheim. Um 2 Uhr Nachmittags versuchten die Franzosen einen stärkeren Ausfall, angeblich mit 1.500 Mann, um den Feind bei Illkirch, eine Stunde südöstlich von Strassburg zurückzuwerfen. Die 8. Compagnie (Hauptmann Kappler) vom Grossherzoglich 3. badischen Infanterie-Regimente hatte von Illkirch aus eine Feldwache über die dortige Brücke des Rhone-Canals vorgeschoben. Um 2 Uhr Mittags ging gegen dieselbe eine französische Escadron zum Angriff vor, wurde jedoch abgewiesen. Alsbald entwickelte sich auch feindliche Infanterie unter Eröffnung eines heftigen Feuers gegen die Canalbrücke, während aus einer rückwärtigen Position eine feindliche Artillerie-Abtheilung Illkirch mit Granaten bewarf und dort einige Gebäude in Brand steckte. Zur Begegnung dieses Angriffs hatte Hauptmann Kappler seine ganze Compagnie an der Canalbrücke postirt und zwei starke Unteroffizier-Patrouillen bei Grafensteden, resp. über die nördliche Schleuse bei Ostwald zur Flankirung des Feindes vorgeschoben. Der Bataillons-Commandeur, Major Steinwachs, zog sofort aus Ostwald die 5. und 6. Compagnie (die Hauptleute Nagel und. Selteneck), sowie die Batterie Göbel heran. Die Compagnie Kappler hatte während Stunde das heftige feindliche Feuer mit grosser Ruhe und Kaltblütigkeit erwidert, als die feindliche Artillerie bis auf 250 Schritt gegen die Canalbrücke vorrückte und auffuhr. Der Compagniechef liess nun ein kurzes, aber wirksames Schnellfeuer eröffnen und ging sodann mit Rücksicht auf die inzwischen eingetretene Unterstützung mit dem Bajonett zur Attaque vor. Der Gegner hielt diesen Stössen nicht Stand, sondern ergriff mit Hinterlassung dreier Geschütze, 8 verwundeten und 3 unverwundeten Gefangenen, 20 Todten, sowie verschiedener Ausrüstungsgegenstände, die Flucht. Dieser glänzende Erfolg kostete der braven Compagnie nur 2 Verwundete. Ein Zug der Batterie Göbel passirte nun die Canalbrücke und beschoss Wegehäusel, in welchem Orte der Feind sich auf seinem Rückwege gesammelt hatte. Die 5. und 6.-Compagnie, welche die weitere Verfolgung unternahmen, konnten den Feind, der im Ganzen auf 1.500 Mann (Zuaven, Turkos, Chasseurs und Artillerie) geschätzt wurde, nicht mehr erreichen.

17. August. Die Franzosen. unternahmen einen zweiten Ausfall nach der Robertsau, der zurückgeschlagen wurde. Auf deutscher Seite wurden die am meisten bedrohten Cernirungsorte in geeigneter und zweckentsprechender Weise zur Vertheidigung eingerichtet und die Eingänge mit Barrikaden versehen. Feldlazarethe wurden in Brumath, Vendenheim, Oberhausbergen und Höhnheim etablirt. Preussische Eisenbahn- und badische Telegraphenbeamte übernahmen die Functionen ihrer Branche. In der Umgegend wurde die Gestellung von Arbeitern und Schanzzeug ausgeschrieben, wobei sich an einigen Orten Widerstand und böser Wille kund gab. Ein solcher trat in den reichen Dörfern Erstein und Morstein hervor und mussten diese dafür eine Contribution, ersteres im Betrage von 150.000 Frcs., letzteres 300.000 Frcs. zahlen.

Am Vormittage wurde das Feuer aus badischen Feld-Batterien, die seitwärts von Kehl Aufstellung genommen, eröffnet; es dauerte den ganzen Tag über und wurde Seitens der Garnison lebhaft erwidert. In der vergangenen Nacht fand ein lebhaftes Artillerie- und Infanteriegefecht zwischen Königshofen und Strassburg, also vor der Westfront statt; mehrere Häuser daselbst wurden in Brand geschossen.

Badische Batterie bei Kehl

18. August. Königshofen wurde in Folge dessen nach kurzem Feuergefecht in die Cernirung gezogen. Fortsetzung des Artilleriefeuers von Kehl aus. In der Nacht vom 18. zum 19. August nahm badische Artillerie hart an der Strasse von Lingolfsheim nach Strassburg Stellung und steckte nach den ersten Schüssen einige Häuser in Strassburg in Brand, der bald eine grössere Ausdehnung annahm; der Feind antwortete mit 24 pfündigen Vollkugeln.

19. August. Fortsetzung dieses Feuers hauptsächlich gegen die Citadelle und die dortigen Anschlussfronten aus 16 Feldgeschützen; sie eröffneten das Feuer Morgens 7 Uhr, stellten es von 12-2 Uhr ein und setzten es bis Abend fort.

Das mehrtägige Feuer wurde selbstverständlich von der Festungsartillerie erwidert, aber sie beschoss nicht nur die Batterien, sondern auch die ausserhalb der Schusslinien liegende offene Stadt Kehl. Der Commandirende des Belagerungscorps, General-Lieutenant von Werder, richtete wegen dieser Absichtlichkeit einen Brief an den General Uhrich, in welchem es heisst; „Eine solche Kriegführung, die unter civilisirten Nationen unerhört ist, muss mich veranlassen, Sie für die Folgen dieses Actes persönlich verantwortlich zu machen; ausserdem lasse ich die verursachten Schäden abschätzen und durch Contribution im Elsass Ersatz suchen".

Diese Abschätzungen haben in Kehl in der That stattgefunden und General Uhrich soll erwidert haben, dass er die Beschiessung der Stadt Kehl als Repressalie dafür betrachte, dass die Stadt Strassburg von der Belagerungsartillerie beschossen werde, ohne dass man die vorherige Anzeige, wie üblich, erstattet habe. Nach anderen Nachrichten hat ungeachtet dessen, und wir bemerken es, zum Ueberfluss, General-Lieutenant von Werder 14 Tage vorher das Bombardement angedroht und 24 Stunden vor Beginn desselben, die diesfällige Mittheilung nach Strassburg abgehen lassen. Demnach trifft die Unterlassung der weiteren Bekanntgebung an die Bürgerschaft lediglich die französischen Behörden, und sie allein tragen die Schuld daran, dass Erstere sich nicht für das Bombardement ausreichend vorbereiten konnte und davon überrascht werden musste.

Es muss übrigens erwähnt werden, dass der Belagerer in Ermangelung jeglicher detaschirter Werke vor Strassburg seine Batterien verhältnissmässig sehr nahe an die Festung etabliren konnte und dass, wenn er diese überhaupt beschiessen wollte, es gar nicht zu vermeiden gewesen war, dass die Stadt auch getroffen, und in arge Mitleidenschaft gezogen werden musste.

Batterie bei Kehl

An diesem Tage - 19. August - brannten in der Stadt Kehl angeblich 14 Häuser ab, und richtete das Feuer in Dorf Kehl verhältnissmässig noch grösseren Schaden an, in ersterem Orte wurde die Kirche zum Lazareth eingerichtet. Mehrere Granaten schlugen in der Nähe des badischen Verbandplatzes im Dorfe Kehl ein.

Die Rheinseite von Kehl, besonders in der Umgebung der Fingach'schen Brauerei, diese selbst, die Brauerei Palmen und viele Häuser angesehener Einwohner wurden zerstört; der Kehler Männer-Hilfsverein griff beim Löschen der Gebäude mit grosser Selbstverleugnung ein - wer konnte, suchte Zuflucht in den nahegelegenen Ortschaften.

Die Beschiessung Strassburg's von der linken Rheinseite hatte ihren Fortgang; in Folge dessen brach in der weissen Thurmgasse ein grösseres Feuer aus; vergeblich waren die dieserhalb Seitens der Bürgerschaft beim Commandanten vorgebrachten Wünsche um Uebergabe. Da die Nothwendigkeit hervortrat, für französische Verwundete französische Aerzte zu requiriren, so wurde ein Parlamentär unter Parlamentärflagge nebst Trompeter in die Festung geschickt; da aber auf Beide geschossen, und der Letztere verwundet wurde, musste die Sache aufgegeben werden.

Eine Compagnie des Grossherzoglichen 2. badischen Grenadier-Regiments hatte unter Befehl des Hauptmann Hilpert die der Festung zugekehrte Lisière des Dorfes Schiltigheim zur Vertheidigung eingerichtet.

Gegen Abend machten die Franzosen mit zwei Compagnien einen Ausfall auf diese Dorflisière, welcher abgewiesen wurde. Der Feind verlor 8 Verwundete und 3 Todte und wurde von der auf dem Kirchplatz in Reserve stehenden Compagnie Ruth des 4. badischen Regiments bis auf das Glacis verfolgt. Das Einbrechen einer Festungsschleuse führte eine vorübergehende Störung in den Inundationsverhältnissen der Festung herbei; eine baldige Remedur fand statt.

20. August Seitens der Cernirungstruppen wurden in Schiltigheim, als einem der Festung nächstgelegenen und wesentlichsten Stützpunkte der Cernirung respective späteren Belagerung, weiter ausgedehnte Vertheidigungseinrichtungen getroffen, man verbarrikadirte die der Festung zugekehrten Dorfeingänge, legte Schützengräben und gedeckte Vorpostenstellungen an; vom Feinde unbegreiflicher Weise stehen gelassene Baumpflanzungen - eine Folge der übereilten fortifikatorischen Armirung - maskirten die Arbeiten. Von der Festung aus wurde bereits früher die Bierbrauerei in Schiltigheim und die Leimsiederei vor dem Spitalthor in Brand geschossen, damit der Belagerer dort keine Deckung fände.

Das Feuer wurde auf beiden Rheinufern gegen die Festung fortgesetzt.

21. August. Die Tête des Belagerungsparkes traf in Vendenheim ein; der Park bestand in Summa aus 200 gezogenen Geschützen preussischen Systems und 100 glatten Mörsern; 40 Geschütze desselben traten fördersamst in Thätigkeit gegen die Festung. Vergebens ersuchte General-Lieutenant von Werder den Commandanten, das auf dem Münsterthurme errichtete Observatorium entfernen zu lassen, um die Conservirung des herrlichen Baudenkmals zu ermöglichen; mit gleichem Erfolge machte er auf die Verlegung des Militairhospitals ausserhalb der Schusslinie aufmerksam.

Der Commandant entliess 100 Deutsche, welche der Fremdenlegion angehörten, in Trupps à 10 Mann aus der Festung; daselbst gab sich eine grosse Verstimmung gegen Deutsche unter der Bevölkerung kund, die sich durch mehrfache Gewaltthätigkeiten gegen dieselben Luft machte.

22. August. Der Commandant ersuchte um die Hinauslassung von Frauen und Kindern aus dem belagerten Platze; dieser Antrag musste wegen mangelnder Transportgelegenheit und wegen anderer Unzuträglichkeiten abgelehnt werden.

23. August. Die Kehler Batterien, welche bereits seit dem 18. August mit Festungsgeschütz aus Rastatt armirt waren, unterhielten Tag und Nacht gegen die Citadelle ein wirksames Feuer und verursachten dort Brand.

Auf dem linken Rheinufer wurde Stadt und Festung Strassburg von allen Seiten beschossen; das Feuer mehrte sich besonders gegen Abend. Die Infanterie näherte sich der Festung immer mehr: die Feldwachen und Vorposten mussten sich zum Schutz gegen das feindliche Feuer in Schützengräben und Schützenlöcher eingraben.

Zitadelle mit der Porte Secour

Zitadelle mit Bastion 19

Die Zitadelle nach der Belagerung

24. August. In der Nacht vom 23. zum 24. ging badische Infanterie gegen den Bahnhof auf der Westfront vor, wodurch sie sich der Festung bis auf 1000 Schritt näherte; ohne irgend welche Verluste wurde der Bahnhof genommen.

Abends begann die Beschiessung der Westfront durch Belagerungsgeschütz. Zu dem Ende hatte die preussische Belagerungsartillerie 13 Batterien (No. 1-13) in der vergangenen Nacht erbaut und solche theils mit gezogenen 24pfündern, theils mit schweren Mörsern armirt; in Folge dessen entstanden in der Stadt zwei grosse Feuer, ein drittes in der Citadelle, wobei das Arsenal, in welchem die Anfertigung von Artilleriegeräth, Laffeten etc. geschah, verloren ging; man bemerkte das Auffliegen eines kleinen Pulvermagazins. Eine der beiden von den Franzosen erbauten Mörserbatterien auf der Sporeninsel wurde durch die Grossherzoglich badische Artillerie zum Schweigen gebracht.

In Kehl waren abermals 20 Häuser abgebrannt, ausserdem andere sehr stark beschädigt worden.

25. August. In der Nacht vom 24. zum 25. wurde auf die Stadt und Festung ein überaus heftiges Feuer von sämmtlichen Batterien gerichtet; es fielen etwa 10 Schuss per Minute.

Eine Mörserbatterie, die oberhalb des Rheinbades jenseits des Eisenbahndammes gelegen und den Kehler Batterien sehr zugesetzt hatte, sollte zerstört werden; zu dem Ende fuhren in der erwähnten Nacht 1 Offizier 45 Mann des Grossherzoglich 6. badischen Infanterie-Regiments und 3 Kanoniere in aller Stille über den Rhein, konnten aber ihre Absicht nicht zur Ausführung bringen, weil die Franzosen die Geschütze bereits nach der Festung zurückgezogen hatten; das Detaschement steckte dagegen das dortige Badehaus in Brand und wurde bei seiner Rückkehr vom Feinde stark beschossen.

Aus Kehl flüchteten die Bewohner grösstentheils; um die Wirkung der aufschlagenden Bomben weniger gefährlich zu machen, wurden die Strassen der Stadt mit Mist bedeckt. Arbeiter wurden aus der Umgegend 3-4 Stunden weit zur Arbeit an den Batterien herangezogen.

Der Bischof von Strassburg erschien im Hauptquartier des Belagerers, um die Einstellung des Feuers zu erbitten; man konnte hier um so weniger darauf eingehen, als der ausgesprochene Wunsch mehr eine Form als innere Aufforderung zu sein schien.

Um 11 Uhr Vormittags machte die Garnison mit einer kleinen Abtheilung und zwei Geschützen gegen die 7. und 8. Compagnie des Grossherzoglich badischen 3. Infanterie -Regiments einen Ausfall vor dem weissen Thurm-Thor.

26. August. Weitere 8 Stück 24pfünder Festungsgeschütz trafen aus Rastatt in Kehl ein, wurden sofort in Batterie gestellt und feuerten den Tag und die Nacht über bis Morgens 4 Uhr.

Auch gegen Strassburg, hauptsächlich von der Batterie der Robertsaue wird das Bombardement nach einer Pause von 4 Uhr Morgens bis 12 Uhr Mittags - um den Erfolg der Einwirkung des Bischofs auf die Bevölkerung abzuwarten - fortgesetzt; es wurden vier verschiedene grössere Brände bemerkt, u. A. standen Magazine und andere Gebäude der Citadelle in Flammen. Aus der Festung wurde das Feuer verhältnissmässig schwach erwidert; doch hatte es in Kehl ziemlich den ganzen Stadttheil zwischen Bahnhof und Rathhaus fast ganz zerstört, während Dorf Kehl - südlich von Stadt Kehl - weniger gelitten hatte.

27. August. In der Nacht vom 26. zum 27. wurde auf der Kehler Seite die Zahl der dortigen Batterien um eine neue Wurfbatterie vermehrt, welche mit 8 50pfündigen Mörsern armirt wurde.

Mörserstellung bei Kehl

5 badischen Pioniren gelang es in der verflossenen Nacht, einige Schleusenwerke, welche zur Erhöhung des Wasserstandes in den Festungsgräben bestimmt waren, zu zerstören; bei der Wichtigkeit des Gegenstandes und Gefährlichkeit des Auftrages waren dafür 1.000 Thlr. Belohnung ausgesetzt.

Auch heute wurde das Feuer aus der Festung nur spärlich erwidert, während dasjenige des Belagerers mit ungeschwächter Heftigkeit fortgesetzt ward. Ein Parlamentär der Festung erschien bei den Belagerern, um Verbandzeug für die Bürgerschaft zu erbitten; das gab den Beweis von der grossen Wirkung der Angriffsbatterien, zugleich aber auch von der geringen Fürsorge, die man in der Stadt für den Fall einer Belagerung getroffen; bereitwilligst wurde das gewünschte Verbandzeug verabfolgt und als Gegengabe Eis angenommen, dessen die Lazarethe bedurften. Der Maire von Strassburg machte beim Gouverneur erfolglose Vorstellungen um Uebergabe der Festung. In Folge dessen schickten sich Viele an, die Stadt zu verlassen; die Mehrzahl derselben wendete sich nach der Schweiz.

In der vergangenen Nacht wurden die Vorposten bereits bis auf 400 Schritte an die Festung vorpoussirt, sie gruben sich hier ein. Dies hatte den Zweck, die Erbauung der ersten Parallele zu maskiren und zu decken. gleichzeitig baute die Artillerie 10 Batterien, welche die Nummern 14, 15, 16, 17, 19, 20, 21, 22, 23 und 25 erhielten.

28. August. Der Bischof von Strassburg machte einen Vermittelungsvorschlag derselbe kam nach Schiltigheim hinaus, wo Namens des General-Lieutenants von Werder der Chef des badischen Generalstabes, Oberst-Lieutenant von Lescinsky, mit ihm conferirte. Der Bischof fand das Bombardement dem Völkerrechte widersprechend; seine Ansicht wurde widerlegt; er bat dann, den Abzug der Bevölkerung zu gestatten, welche Forderung abgelehnt wurde. Die Bitte des Bischofs, um einen 24 ständigen Waffenstillstand wurde angenommen, falls binnen einer Stunde gemeldet werden würde, dass der Gouverneur überhaupt verhandeln wolle; auch wurde derselbe eingeladen, herauszukommen, um von den Angriffsanstalten Kenntniss zu nehmen, eventuell könne dies durch einen Stellvertreter geschehen. Bei der Rückkehr wurde auf den Oberstlieutenant von Lescinsky, obwohl er die Parlamentärflagge selbst in der Hand trug, ein förmliches Pelotonfeuer eröffnet; die Flagge wurde von Kugeln durchlöchert; der Vermittelungsversuch war demnach völlig erfolglos.

Inzwischen nahm das Bombardement auf beiden Seiten seinen Fortgang, Hauptmann von Faber der Grossherzoglich badischen Festungsartillerie erlag zu Korck seiner schweren Verletzung,

Auch gegen Abend und über Nacht fand ein lebhaftes Feuer zwischen den diesseitigen Vorposten und den in den gedeckten Wegen aufgestellten Schützen der Festungsbesatzung statt.

29. August. In der Nacht vom 28. zum 29. wurden die Schützengräben der Belagerungsvorposten zwischen Königshofen und der Festung bis auf 5-600 Schritte vorgeschoben; ein kleiner Ausfall daselbst wurde zurückgeschlagen, und nahm das Geschützfeuer in der früheren Art seinen Fortgang. Mittags 12 Uhr fand ein Ausfall statt, der von Abtheilungen des Königlich preussischen 34. Infanterie-Regiments abgeschlagen ward.

Das eigentliche Bombardement - um dies hier zusammen zu fassen - begann am 24. August, dauerte also mit Unterbrechungen drei Tage; auf der Strassburger Seite lagen die Bombardementsbatterien - 13 an der Zahl - sämmtlich auf der späteren Angriffsfront und feuerten aus 26 gezogenen 24pfündern und 28 schweren Mörsern; auf der Kehler Seite geschah dies durch 6 Batterien, die mit 32 schweren gezogenen Geschützen und 12 schweren Mörsern armirt waren. Die andere Seite der Stadt und Festung wurde aus Feldgeschützen beschossen.

Die Wirkung der Vertheidigungsartillerie war nicht unerheblich: es waren die im Schussbereich liegenden Dörfer Königshofen und Schiltigheim gründlich demolirt, das Galgenschänzl hatte stark gelitten, und der Bahnhof in Kehl war vollends in Brand geschossen, nachdem es den dortigen Bewohnern gelungen war, ihn bei einem früheren Brande vor wenig Tagen nothdürftig zu erhalten. Von den in Strassburg durch das Bombardement herbeigeführten Beschädigungen sollen hier nur die erheblichsten angeführt werden. So haben ganz besonders die Krothenaue, die Strasse nach dem Austerlitzer Thor, die Faubourgs de Pierre, Nationalthor, der Bahnhof und die Kornhalle, die Artillerieschule, Kanonengiesserei, das grosse Gebäude des Etat major du place am Kleberplatz, die Umgebung des Münsters gelitten, und viele Schätze der Kunst und Wissenschaft sind verloren gegangen, z. B. die altberühmte grosse Bibliothek mit 400.000 Bänden und wertvollen Urkunden und Handschriften, das Kunstmuseum, die Gemäldesammlung, die Neukirche mit ihrer berühmten Frescomalerei. Was die Beschädigungen des Münsters, dieses Denkmals altdeutscher Baukunst, betrifft, so stellten sie sich glücklicher Weise als unbedeutend heraus; allerdings war der Dachstuhl über dem Gewölbe abgebrannt, das Innere war jedoch unverletzt, mit Ausnahme eines Glasfensters; die berühmte astronomische Uhr blieb erhalten.

Die Belagerungsartillerie, war angewiesen, den Münster zu schonen und die wenigen Schüsse, die überhaupt nach dem Thurme abgefeuert, wurden besonders vorher angekündigt, da der Feind auf dem Thurme ein Observatorium mit Telegraphenleitung eingerichtet hatte, welches die Belagerungsarbeiten vollständig einsah.

Eine wesentliche Beschädigung an Grund resp. Privateigenthum war der Bürgerschaft durch die von der Festung veranlasste Inundation, als ein ganz vortreffliches Vertheidigungsmittel, zugefügt worden; es standen in Folge dessen die niedrig gelegenen Inundationsbecken im Vorterrain und eine grosse Anzahl von Keller der Stadt unter Wasser; die Mehrzahl der letzteren war darauf nicht eingerichtet, verursachten in Folge des eingetreten Wassers bauliche Verlegenheiten für die Gebäude und konnten von den Einwohnern weder zur Unterkunft von Menschen noch zur Aufbewahrung von Proviant benutzt werden. Zwar hatte man bei Erstein, etwa 21 Meilen südlich von Strassburg, zwischen der nach Schlettstädt führenden Strasse und dem Rheincanal gelegen, die Ableitung der Ill versucht, die dort, durch eine mit vielen Wasserläufen versehene Niederung fliessend, mit dem Rhein in Verbindung steht; ferner hatte man in unmittelbarer Nähe der Festung auf deren Südfront eine Ableitung vorgenommen, die Ablassschleuse der Inundation, da wo sich die Aar, ein Nebenarm der Ill, diese selbst und der Rhein-Marnecanal vereinigen, und endlich die Zerstörung der Schleusen No. 87 und 88 im Ill-Rheincanal vorgenommen – und in Folge dessen eine merkliche Verminderung der Wasserstände der Inundation und in den Gräben herbeigeführt.

Die Stimmung in der Bürgerschaft, an deren Spitze sich die Geistlichkeit stellte, war nichts weniger als für eine energische Vertheidigung der Festung; vergeblich waren mehrere von hier ausgehende Schritte, den Commandanten zur Uebergabe des Platzes zu bestimmen. Die Preise der Lebensmittel nahmen eine für die Bevölkerung zum grössten Theile unerschwingliche Höhe an und man genoss, da das vorhanden gewesene Rindfleisch längst aufgezehrt war - Pferdefleisch; der Centner Kartoffel wurde mit 12 Frcs. bezahlt, Butter und Gemüse gab es in der zahlreich bevölkerten Stadt nicht mehr.

Man brachte die Stärke und Zusammensetzung der Garnison in Erfahrung; die Eigenthümlichkeit der Letzteren - ein grosser Theil der Garnison bestand aus nach der Schlacht bei Wörth Flüchtigen vom 21., 23., 28, 33. und 74. Regiment, ferner aus Turkos, Zuaven, Spahis und Cavallerie jeder Gattung - erschwerte die Handhabung der Disciplin; es fehlte derselben der innere militairische Halt, was man an der Art und Weise erkennen konnte, in welcher die Offensivunternehmungen stattfanden. Es hatten in Folge der Brände von Militairetablissements namhafte Verluste an Kriegsmaterial aller Art stattgefunden und durch das energische Bombardement wurde die Vertheidigungsfähigkeit des Platzes auf das Empfindlichste beeinträchtigt.

Obgleich es bekannt war, dass der Artillerie-General Barral, der noch während der Cernirung durch Verkleidung in die Festung gelangte, thatsächlich der eigentliche Leiter der Vertheidigung sein sollte, so hatte man doch die ehrenhaften Gesinnungen des Gouverneurs, Divisions-General Uhrich, kennen gelernt und man musste sich daher sagen, dass dieser verdiente Offizier so leicht nicht auf eine Capitulation eingehen werde, die ihm wiederholt offerirt worden.

Unter diesen Verhältnissen konnte man bereits am 26. August darüber nicht zweifelhaft sein, dass nur eine förmliche Belagerung allein zum Ziele führen und zugleich die Leiden der unglücklichen Stadt am ehesten abkürzen werde; die dieserhalb vorsorglich schon in den ersten Tagen des Feldzuges in das Auge gefassten Vorbereitungen wurden daher zur schleunigen Ausführung gebracht.

Demgemäss war für alle Fälle der Belagerungstrain aus Magdeburg, Coblenz und Wesel bereits in Marsch gesetzt. Die Zusammensetzung und Anzahl der Kaliber desselben war nach jeder Rücksicht reiflich erwogen, Die bei der preussischen Artillerie-Prüfungs-Commission mit gezogenen Belagerungsgeschützen stattgehabten Versuche, insbesondere die mit 15 Centim.-Kanonen und 21 Centim.-Mörser, welche Langgranaten schiessen resp. werfen und die Anwendung der Demolitionsbatterien, bei welchen man auf grosse Entfernungen verdeckt stehende Mauerwerke durch geeignete Geschütze und unter Anwendung zweckentsprechender Elevation breschiren kann, sollten vor Strassburg zum ersten Male zur praktischen Verwerthung gelangen.

Bei Aufstellung des artilleristischen Angriffsplanes war auf die fernere Beibehaltung der auf der Angriffsfront liegenden Batterien anlässlich des Bombardements, besonders aber auf die weitere Thätigkeit der aus dieser Periode herrührenden Kehler Batterien gerechnet, weil letztere vorzugsweise die Citadelle bearbeiteten und eine Vertheidigung der Festung von dort aus unmöglich machten.

Für den Ingenieurangriff wurde ein neuerdings erst angeschaffter Ingenieurbelagerungspark vor den Platz dirigirt.

Zum Commandirenden des Belagerungscorps wurde der Königlich preussische General-Lieutenant von Werder (Chef des Stabes Oberst-Lieutenant von Lescinsky vom Grossherzoglich badischen Generalstabe), zum Commandeur der Belagerungsartillerie der General-Lieutenant von Decker und. zum Ingenieur en chef der Generalmajor von Mertens bestimmt.

Das Belagerungscorps war wie folgt zusammengesetzt:

1. Infanterie:

a. Garde -Landwehrdivision.

b. 1. Reservedivision unter Zutheilung des 30. Infanterie-Regiments aus Mainz und des Pommerschen Füsilier-Regiments No. 34, welches in den allerersten Tagen nach der Kriegs.erklärung von Frankfurt nach Rastatt instradirt und schon während der Cernirung mit der

c. Grossherzoglich badischen Division vor Strassburg verwendet worden war.

2. Cavallerie:

Das Königlich preussische 2. Reserve-Dragoner-Regiment, das Königlich preussische 2. Reserve-Ulanen-Regiment, die Grossherzoglich badische Divisions-Cavallerie, bestehend aus drei Dragoner-Regimentern.

3. Die Belagerungsartillerie:

in Summa 6-7.000 Mann stark, war aus 29 Compagnien des Garde-, 4., 5., 6., 7. und 10. Festungs-Artillerie-Regiments, 4 Königlich baierischen Festungs-Batterien und 4 würtembergischen 2 Grossherzoglich badischen Festungs. Compagnien, zusammengesetzt

4. Pionire:

in Summa 2.200 Mann stark, 2 combinirte Festungs-Pionir-Bataillone, welche durch 12 Festungs-Pionir-Compagnien aus dem Bereich des 1., 2., 5., 6., 7., 8., 10. und 11. Armee-Corps zusammengesetzt wurden, ferner 2 Grossherzoglich badische Feld-Pionir-Compagnien und eine Königlich baierische Festungs-Pionir-Compagnie, die jedoch erst gegen Ende der Belagerung eintraf. Den Befehl über sämmtliche Pionirtruppen führte der Königlich preussische Ingenieur-Oberst Klotz.

Neben Formation dieser Truppentheile wurde die Bildung der Stäbe für die Belagerungsartillerie und der Ingenieure vorgenommen; als Chef des Stabes der ersteren fungirte Oberst-Lieutenant von Scheliha vom Generalstabe, früher in der Artillerie; als der der letzteren der Oberst- Lieutenant von Wangenheim vom Kriegs-Ministerium; 6 Stabsoffiziere der Artillerie erhielten Stellungen als Abtheilungs-Commandeure und 20 Ingenieur-Offiziere wurden für den Ingenieurdienst vor Strassburg bestimmt.

Das Belagerungsheer hatte eine Totalstärke von nahezu 60.000 Mann; die Hauptquartiere befanden sich in Mundolsheim (General-Lieutenant von Werder), Belagerungsartillerie und für das Geniewesen; in Oberschäffelsheim, für die Grossherzoglich badische Division und in Lampertsheim, woselbst Se. Königliche Hoheit der Grossherzog von Baden residirte, welcher mit grossem Interesse den Gang der Belagerung verfolgte.

Nach der genauen Kenntniss, welche man von der Gesammtbefestigung hatte, war die Wahl der Angriffsfront für den Belagerer nicht schwierig. Die Nordwestecke der Stadtbefestigung wurde als solche erkannt, ihre vorspringende Lage ermöglichte eine verhältnissmässig geringe Frontentwickelung, die fast ganz ausserhalb des Inundationsgebietes sich entfalten konnte. Die Parks lagen in der Nähe vorzüglicher Strassen und anderweiten Communicationen nach den rückwärtigen Depotplätzen; hierdurch wurden zeitraubende Flankenmärsche für das Belagerungsmaterial vermieden. Die Citadelle, ohnehin schon während der Cernirung und des Bombardements tüchtig von den Batterien in Kehl verarbeitet, hatte bei der gewählten Angriffsfront nur geringe Einwirkung, so dass die Enfilirung des Angriffsfeldes von dieser und den Nebenfronten wenig zu fürchten war. Die Schwierigkeiten, welche die Eroberung des Hauptwalles resp. das Eindringen in die Festung auf der quaest. Front verursachen würden, waren aber mehr oder weniger auch auf allen übrigen Fronten vorhanden.

Die Lage des Belagerungsparkes war rechts, die der Pulvermagazine links der Chaussee, nördlich von Mundolsheim; der Ingenieurpark befand sich in Souffelsweierheim.

In der Nacht vom 29. bis zum 30. August fand die Eröffnung der 1. Parallele statt, an welche sich gleichzeitig die Ausführung der rückwärtigen Communication anschloss.

Die Arbeiter dazu stellten das 1. und 2. Garde-Landwehr-Regiment und die Pionirbataillone, soweit diese nicht zum Aufsichtsdienst und anderen technischen Verrichtungen herangezogen wurden.

Die Parallele lehnte sich mit dem linken Flügel an die Ill, durchschnitt die aus Strassburg nach.Schiltigheim und Weissenburg führenden Strassen, die Eisenbahnen nach Paris und Basel - letztere ungefähr bei der Wegeüberführung nach Wassellonne - und zog sich bis zu den südwestlichen Ausgängen von Königshofen; sie überflügelte daher das eigentliche Angriffsfeld fast um die Hälfte ihrer Gesammtlänge, die 5.700 Schritt betrug.

Die Entfernung der Parallele von der Festung betrug durchschnittlich 800 Schritt und das war ein sehr günstiges Verhältnis im Vergleich zur Belagerung von Sebastopol, bei welcher man genöthigt war, mit dieser Ausführung über 1.600 Schritt von den Werken entfernt zu bleiben.

Die vom Hauptdepot mittelst fünf Schlägen im Zickzack ausgeführten rückwärtigen Communicationen bewegten sich auf dem Terrain zwischen der nach Weissenburg führenden Chaussee und der Eisenbahn nach Paris; sie lagen ziemlich auf .der Mitte des Angriffsfeldes.

Ausserdem wurden für den linken Flügel einige Communicationsschläge unter Benützung des für die diesseitige Annäherung ausserordentlich günstig liegenden Dorfes Schiltigheim angelegt.

Die Aufstellung der Bedeckungstruppen, der An- und Aufmarsch der Arbeitercolonnen geschah nach den darüber bestehenden Vorschriften, soweit solche durch die lokalen Verhältnisse nicht besondere Abweichungen erforderlich machten.

In der ersten Nacht wurde die Parallele und die rückwärtigen Communicationen bei 3 Fuss Sohlenbreite 4 Fuss tief ausgehoben und dieses Profil im Laufe des 30. August auf 9 resp. 8 Fuss Sohlenbreite erweitert; hierdurch wurde nicht allein die erforderliche Breite des Laufgrabens als Communication erzielt, sondern auch für die Brustwehr die benöthigte Stärke gewonnen. Die Parallele erhielt an mehreren Stellen Ausfallstufen.

Ferner wurden drei Ingenieurdepots, eins für die Mitte, zwei für die Flügel der Parallele angelegt, wie sich solche aus der Zeichnung ergeben.

Der Feind liess alle Arbeiten ungestört zur Ausführung gelangen; erst gegen 6 Uhr Morgens, am 30. August, bemerkte man eine vermehrte Bewegung auf den Wällen; aber es waren bereits 10 neue Batterien mit weiteren 46 Belagerungsgeschützen in Thätigkeit. Es waren dies die Batterien No. 14 bis 17, No. 19, 20, 21, 22, 23 und 25; da auch die Bombardementsbatterien No. 1 bis No. 13 in Thätigkeit blieben, so standen um diese Zeit:

30 gez. lange 24 pfünder,

42 gez. 12 pfünder,

28 schwere Mörser,

also in Summa 100 Belagerungsgeschütze im Feuer.

Der Feind war von der Ausführung der genannten Belagerungsarbeiten unleugbar überrascht und nicht darauf vorbereitet; nur daraus lässt es sich erklären, dass das Feuer der Angriffsbatterien aus der Festung spärlich erwidert wurde. Diese aber waren in der Lage, die Hauptlinien der Angriffs- und Collateral- (Neben-) Fronten zu ricoschettiren und zu demontiren und den Feind in den dortigen Armirungsarbeiten wesentlich zu stören.

So gelang es den vereinigten Anstrengungen der Angriffsbatterien, die Festungsartillerie in kürzester Zeit zum Schweigen zu bringen. Wegen zu grosser Entfernung stellten jedoch im Laufe des Tages ein Theil der früheren Bombardementsbatterien No. 1, 2, 3, 6, 9, 10, 11 und 12 ihr Feuer ein. Erst im Laufe des Vormittags und Nachmittags des

30. August konnte die Vertheidigungsartillerie nach Vervollständigung der Geschützarmirung der Angriffsfront den Kampf wieder auf ein Paar Stunden aufnehmen; sie wurde aber beide Male bald zum Schweigen gebracht. An diesem Tage und am

31. August wurden die Parallelen und Approchen auf die für den Gebrauch nöthigen Profile gebracht und ausgebaut. Es wurde erforderlich an diesem und den folgenden Tagen, die in dem mit Busch bedeckten Wracken, einer von der Aar (Nebenarm der Ill) und der Ill gebildeten Insel, in Schützengräben liegenden Franzosen zu vertreiben.

1. September. In der Nacht vom 31. August zum 1. September wurden die Communicationen zur zweiten Parallele angelegt, die auf dem linken Flügel in nur einem Schlage, dagegen in der Capitalrichtung der angegriffenen Bastionen in drei Schlägen bestanden; - hierbei fand eine angemessene Vorschiebung der Vorposten statt. Gleichzeitig wurden die Batterien No. 27 und No. 28 gebaut und armirt. Der Feind entwickelte über Nacht eine grosse Thätigkeit und gegen Morgen ein starkes Artilleriefeuer; insbesondere war das Feuer auf der Nordfront sehr heftig.

Das Ingenieur-Hauptquartier wurde von Mundolsheim nach Schiltigheim verlegt. Die Angriffsbatterien lagen, um dies gleich jetzt zu erwähnen, theils in theils ausserhalb der Parallelen und Communicationen; in beiden Fällen aber so gedeckt, dass sie von der Festung selbst entweder gar nicht, oder doch nur sehr unvollkommen wahrnehmbar waren; diejenigen für Rohrgeschütze wurden zumeist mit flach ansteigenden, resp. muldenartig angelegten Scharten versehen.

2. September. In der Nacht vom 1. zum 2. September wurden die zickzackförmigen Annäherungen zur zweiten Parallele, und diese selbst in zwei getrennten Stücken ausgeführt, weil der mit Monumenten besetzte Kirchhof St. Helène ausgespart werden musste. Oberstlieutenant von Gayl und Hauptmann Hertzberg, beide vom Ingenieurcorps, ersterer im Dienst als Trancheemajor, wurden getödtet, als sie eben im Begriff waren, eine fehlerhafte Stelle der 2. Parallele, die zu nahe an den feindlichen Werken vorbeistrich, ausbessern lassen zu wollen. Noch war die Arbeit nicht völlig fertig gestellt, als in der Nacht vom 2. zum 3. September um 12 Uhr aus der Festung sich starkes Geschütz- und Infanteriefeuer auf der angegriffenen Front erhob, dem alsbald zwei Ausfälle gegen beide Flügel der Parallele folgten. Mit drei Colonnen gingen die Franzosen gegen den rechten Flügel in der Richtung auf Vendenheim vor, und griffen die, die äusseren Bahnhofsgebäude besetzt haltende Compagnie des Grossherzoglich 2. badischen Grenadier-Regiments „König von Preussen" an; es entspann sich hier ein sehr heftiger Kampf, so dass der Trancheecommandant, Oberst von Renz, mit dem auf Trancheewache befindlichen 1. Bataillone des gedachten Regiments eingreifen und den überlegenen Feind in die Festung zurückwerfen musste. Hauptmann Graeff blieb todt, und der der Truppe, hauptsächlich bei der Rückkehr in die Tranchee zugefügte Verlust betrug 50 Mann theils todt, theils verwundet. Ganz besonders soll sich die 2. Compagnie bei diesem Gefecht ausgezeichnet haben.

Bei dem Morgens ½4 Uhr gegen den linken Flügel der Parallele gerichteten Ausfall dirigirten sich die Franzosen mit drei Colonnen über die durch Anbau und Baumwuchs viel Deckung gewährenden Inseln Jars und Wacken, stiessen hier auf das zweite Bataillon des Königlich preuss. 30. Infanterie-Regiments, von dem sie zurückgeschlagen wurden; der Verlust der Preussen betrug einen verwundeten Offizier (Lieutenant von Versen), der gefangen wurde, und etwa 30 Verwundete und Todte; ein französischer Offizier und 4 Chasseurs wurden gefangen. Bei diesen Ausfällen hatte sich die Nothwendigkeit herausgestellt, eine grössere Anzahl Ausfallstufen in die Parallele zu erbauen. Eingetretenes Regenwetter erschwerte die Arbeiten in den Trancheen ausserordentlich. Man war der Festung schon so nahe gerückt, dass Wallbüchsen mit Vortheil verwendet werden konnten, zu welchem Behuf preussischer und badischer Seits Wallbüchsendetaschements gebildet wurden, die man zum Feuer gegen die feindliche Geschützbedienung bestimmte; die Franzosen schossen zu gleichem Zweck mit Wallbüchsen, Chassepots und Miniégewehren.

3. September. Weiterer Ausbau der Parallele, Bau- und Fertigstellung der Batterien 16a, 17a, 19a und 21a, 29 und 30; in der Frühe fand ein kleines Vorpostengefecht, wobei die Belagerer 8 Verwundete hatten, statt. Im Laufe des Vormittags trat eine einstündige Waffenruhe zur Beerdigung der in der Festung befindlichen Todten in den Jardin de plantes ein.

In Schiltigheim wurde das schlossartige Klostergebäude zum Lazareth eingerichtet; zwei neue Belagerungsgeschützarten, nämlich 12 kurze gezogene 24pfünder und 2 gezogene 21 pfünder Mörser trafen im Belagerungspark ein; sie besassen bei grosser Trefffähigkeit eine enorme Geschosswirkung.

4. September. Das Ingenieur-Hauptquartier wurde aus dienstlichen Gründen nach Mundolsheim zurückverlegt. Man erfuhr die Capitulation von Sedan, die dem Gouverneur der Festung unter Darlegung der daraus entspringenden militairischen und politischen Situation Frankreichs mitgetheilt wurde. Aus Anlass dieses Ereignisses wurde beim Belagerungscorps Dankgottesdienst abgehalten und per Geschütz drei Salutschüsse abgegeben.

5. September. Ohne nennenswerthe Ereignisse, nahm die Belagerung ihren Fortgang; in der vergangenen Nacht sowohl als auch im Laufe des Tages fiel der Feind mit kleinen Abtheilungen aus, um den Batteriebau von No. 33, der Mörserbatterien 31 und 32 und anderweite Tranchéearbeiten zu stören.

6. September. In Schiltigheim wurde eine unterirdische Telegraphenleitung, angeblich zur Communication mit Metz dienend, entdeckt und zerstört; später gewann jedoch die Annahme Platz, dass sie lediglich für Privatzwecke im Orte gedient hatte. Die Angriffsbatterien entwickelten ein sehr heftiges Feuer, und die schöne Kaserne Finkmatt hinter dem gleichnamigen Bastion, wo Napoleon III. 1839 den Insurrectionsversuch gemacht, wurde in Brand geschossen; dagegen brannte es auch in Bischheim in Folge des Feuers der Vertheidigungsartillerie. Die Kehler Batterien beschossen stark die Citadelle und zerstörten das dortige Stadtthor, wodurch die Communication mit der Stadt und der Stadtbefestigung wesentlich erschwert wurde.

7. September. Morgens Patrouillengefecht am Rhein, mit einer Abtheilung des Grossherzoglich badischen 3. Infanterie-Regiments; eine andere fing zwei von Neu-Breisach kommende Schiffe mit Material zur Anfertigung von Artillerieschiessbedarf, darunter 30.000 Zünder, bei Machern, 1½ Stunde oberhalb Kehl ab, da die mit dem Transport beauftragten Schiffer ihre Fahrzeuge des niedrigen Wasserstandes im Rhein wegen löschen mussten und dabei unvorsichtig zu Werke gegangen waren.

8. September. Es wurde in vergangener Nacht die Batterie No. 35 mit zwei 21 Cm. -Mörsern armirt, was bei deren Gewicht von je 150 Centner (nämlich Rohrgewicht etwa 66 Centner, Laffetengewicht etwa 84 Centner), viele Schwierigkeiten machte; diese Versuchsmörser haben 20 Zoll lange. zuckerhutförmige 160 Pfund schwere Geschosse. 15 Pfund Sprengladung, bilden 6 Fuss tiefe und 20 Fuss im Durchmesser haltende Explosionstrichter und äussern daher gegen bombensichere Räume eine grosse Wirkung; sie wurden im Verein mit der Batterie No. 5 gegen das Reduit in Lünette 11 verwendet, welches Werk in Folge dessen sehr bald vom Feinde aufgegeben wurde; zur selben Zeit wurden die Batterien 39 und 38, beides Emplacements für Feldgeschütze zu Bestreichung des Vorterrains, und die Wurfbatterie No. 40 rechts neben dem Kirchhof St. Helène gebaut, und mit sechs 25 pfünd. Mörsern armirt.

9. September. Der Geburtstag Sr. Königlichen Hoheit des Grossherzogs von Baden, wie im tiefen Frieden durch grosse Reveille, Gottesdienst und Zapfenstreich gefeiert, wurde mit einer äusserst heftigen Kanonade Seitens des Angriffs von beiden Rheinseiten eingeleitet: ausser den in den Kehler Batterien stehenden 32 gezogenen Geschützen und 8 Mörsern waren beim Hauptangriff 98 gezogene Geschütze und 40 Mörser im Feuer. Durch die sachgemässe Führung des Artillerieangriffs behufs gegenseitiger Unterstützung und Concentration der Wirkung war es gelungen, das feindliche Feuer fast ganz zum Schweigen zu bringen; es erlahmte zusehends, und wurde von den direct angegriffenen Linien und Fronten aus fast nur noch durch zahlreiches Wurffeuer fortgesetzt.

In Paris verbreitete man eine angebliche Depesche des Gouverneurs der Festung, wonach sich die Lage derselben in den letzten Tagen, in Folge des unaufhörlichen Bombardements bedeutend verschlimmert habe; nicht aufgeklärt ist es, wie die fragliche Depesche unter den obwaltenden Umständen den Weg nach Paris gefunden hat.

10. September. In der Nacht vom 9. zum 10. wurde auf drei Stellen an den Approchen zur dritten Parallele gearbeitet und vom Grossherzoglich badischen 2. Regiment ein Ausfall der Franzosen aus der Porte nationale zurückgeschlagen; die Benutzung des dem Angriff so nahe liegenden Steinthors für dergleichen Unternehmungen war dem Vertheidiger unmöglich gemacht, weil es sowohl wie auch die dortigen Brücken durch Geschützfeuer total zerstört worden war; in der Stadt bemerkte man mehrere grössere Brände.

11. September. In der vorigen Nacht wurden die Approchen zur dritten Parallele auf den begonnenen drei Cheminements um 300 Schritt vorgetrieben; von beiden Seiten heftiger Geschützkampf. Brand der Artillerieschule und in Königshofen. Die Breschbatterie No. 8 gegen die Lünette 53 wurde gebaut und mit 4 kurzen 24pfündern armirt.

12. September. In der vorigen Nacht fand die Anlage der dritten Parallele auf 700 Schritt Länge statt, welche, wie alle früheren derartigen Arbeiten mittelst gemeiner Sappe, also ohne Anwendung von Körben ausgeführt wurde. Es verdient hervorgehoben zu werden, dass die Herstellung der 3. Parallele und der Communicationen zwischen der 2. und 3. Parallele mittelst gemeiner Sappe an Stelle der für diese Ausführungen reglementsmässigen völligen Sappe den Angriff um viele Tage abkürzte und die fragliche, in der Kriegsgeschichte noch nicht dagewesene Anordnung lediglich von dem Ingenieur en chef General von Mertens ausgegangen ist. Die Besatzung unternahm einen wirkungs-losen unbedeutenden Ausfall. Gleichzeitig wurde der Bau und die Armirung der Batterie 8a, mit vier 50pfünd. Mörsern, gegen das Angriffsbastion No. 11 ausgeführt, welches zugleich auch von Batterie 35 beworfen wurde. Mit Tagesanbruch wurde das Geschützfeuer von beiden Seiten aufgenommen und auf das Heftigste fortgesetzt. Die dritte Parallele hatte eine solche Lage, dass sie den Fuss des Glacis von Lünette 53 bereits streifte, während sie von dem Fuss des Glacis vor Lünette 52 auf etwa 60 Schritt ablag; eine Art Halbparallele sollte den Fuss beider Glacis verbinden, weswegen aus der dritten Parallele gegenüber von Lünette 52 vorwärts sappirt werden musste. Die weiteren Annäherungswege konnten nicht mehr im Zickzack, sondern nur der grösseren Deckung von beiden Seiten wegen durch die sogenannte Traversensappe ausgeführt werden. Die Breschbatterie No. 42 gegen die rechte Face des Bastion 11 für 6 kurze 24pfünder wurde erbaut

Schweizer organisirten unter Zustimmung des Festungs-Gouvernements und des Commandirenden des Belagerungscorps den Abzug bedrängter Familien. Gegen 800 Personen verliessen die Festung unter grösstmöglichster Willfährigkeit von Seiten der Belagerungstruppen.

13. September. In der vorigen, sehr mondhellen Nacht wurde die Arbeit an der Traversensappe mittelst Erdwalze fortgesetzt; das Festungsfeuer reichte bis nach Mittelhausbergen, über eine Stunde weit vom Platze, und zündete daselbst. Im Laufe des Tages fand die Auswechslung eines unverwundeten gefangenen französischen Offiziers gegen einen verwundeten preussischen Offizier. Lieutenant von Versen vom 30. infanterie-Regiment statt. Badische Infanterie-Abtheilungen setzten sich in Besitz der Sporeninsel, südöstlich der Festung; sie legten hier Schützengräben an und suchten demnächst Verbindung mit den rechts von ihnen stellenden preussischen Truppen auf der Robertsaue, weshalb über den dortigen Rheinarm eine Brücke geschlagen wurde.

14. September. In der Nacht vom 13. zum 14. September wurde die halbe Parallele vollendet und mit einem Schlag nach vorwärts durchgebrochen; dies konnte nur durch eine doppelte Traversensappe geschehen, welche mittelst der Erdwalze zur Ausführung gelangte.

Zu gleicher Zeit wurden die Batterien No. 41 und 43 durch würtembergische Artillerie erbaut und bedient, erstere mit vier 12 pfündern, letztere mit acht 24pfündern armirt, zur Wirkung gegen die Nebenfronten; sodann erfolgte die Etablirung der Mörseremplacements No. 45 und 46 gegen näher liegende Aussenwerke, sowie der Bau der Demontirbatterie No. 44. Die indirecte Breschbatterie No. 42 gegen die rechte Face des Bastions 11 wurde erbaut und mit 6 kurzen 24pfündern armirt. Von dem Belagerungscorps wurde ein Grossherzoglich badisches Detaschement, 4 Bataillone 8 Escadrons, 3 Batterien unter dem Befehl des Generals Keller nach dem oberen Elsass entsendet; es marschirte über Colmar nach Mühlhausen, wurde von der Besatzung von Neu-Breisach und Mobilgarden angegriffen und bewirkte sodann die ihm aufgegebene Entwaffnung der dortigen Gegend, in welcher sich Spuren zur Organisirung eines Volkskrieges zeigten.

15. September. In der vorigen Nacht wurde die Glaciskrönung unter Anwendung der flüchtigen Sappe vor Lünette No. 53, auf jeder Face 50 Schritt lang ausgeführt. Wiederholt hatten die Franzosen den Versuch gemacht, sich auf der Sporeninsel festzusetzen; heute suchten sie diese Absicht durch einen grösseren Ausfall, angeblich mit 1.600 Mann, mit beigegebener Artillerie auszuführen, der nach längerem Gefechte abgewiesen wurde.

Den Franzosen gegenüber standen hier anfänglich nur zwei badische Compagnien, welche im Laufe des Gefechtes durch preussische Abtheilungen verstärkt wurden und den Feind unter Zurücklassung von Todten, Verwundeten und Gefangenen zurücktrieben.

In Strassburg machte sich der Mangel an Lebensmitteln, besonders bei der ärmeren Volksklasse sehr fühlbar und es wurden Veranstaltungen getroffen, diese wegen der abgebrannten Wohnungen in Pferdeschuppen unterzubringen. Auf dringende Vorstellung der Geistlichkeit beider Confessionen trat von 9-12 Uhr Vormittags Waffenruhe ein, um gegen 5-600 Frauen und Kinder aus der belagerten Stadt herauszulassen.

Lünette 53

Lünette 53

Lünette 52

Lünette 52

16. September. In der Nacht vom 15. zum 16. wurde vor Lünette No. 52 das Couronnement mittelst der flüchtigen Sappe begonnen. Zu Appenweier (2 Meilen von Kehl und Eisenbahnstation) wurden Vorbereitungen zur Wiederherstellung der zerstörten Eisenbahngitterbrücke über den Rhein getroffen, vorläufig nur für ein Geleise; auch die fliegende Brücke zu Ichenheim, etwa 2½ Stunde oberhalb Kehl, wurde zur Herabführung nach dort bereit gehalten.

17. September. In der Nacht erfolgte die Fertigstellung des Couronnements vor Lünette 52 und 53, die Artillerie war in dieser Zeit ausserordentlich thätig. Die Batterien 17a, 19a, 21a wurden vor die 2. Parallele geschoben und erhielten in dieser Beziehung die No. 17b, 19b, 21b, die Batterien No. 46, No. 47, No. 48, 5a - sämmtlich Wurfbatterien - wurden erbaut und mit leichten und schweren Mörsern armirt. Hauptmann Ledebur vom Ingenieurcorps mit zwei entchlossenen Pionieren hatte Lünette 53 bereits in der Nacht vom 8. zum 9. September recognoscirt; an Tauen in den Graben sich herablassend, entdeckten sie drei feindliche Minengallerien, deren Entrée dicht über dem Wasserspiegel des Grabens lag. Man fand eine Capitalgallerie - auf der Mittellinie des Werkes - und je eine auf beiden Seiten derselben; alle drei waren durch eine Parallelgallerie mit einander verbunden und in der üblichen Weise ausgebaut. Dieses vorgefundene Minensystem war vom Feinde aufgegeben; nur eine Mine war in geladenem Zustande, welche nun entladen wurde; die rechts vor der Capitale liegende Gallerie wurde durch Entgegenarbeiten von der 3. Parallele aus in eine unterirdische Communication nach dem Graben des Werkes verwandelt und bereits vom 14. September ab als Sicherheitsstand zur Beobachtung der Wirkung der indirecten Breschbatterie gegen die rechte Face benutzt; man überzeugte sich von hieraus, dass die Bresche bereits am 16. September völlig gangbar war. Es war dies übrigens nicht die einzige Anwendung des indirecten Breschschusses, der, wie wir bereits gesehen, gegen das Reduit der Lünette 44 und gegen eine ziemlich gedeckt liegende Schleuse am Fischerthor, zwischen Bastion 15 und Ravelin 63, aus Batterie 33 den besten Erfolg. hatte.

Abends warfen Abtheilungen des Grossherzoglich badischen 3. und 6. Infanterie -Regiments einen von den Franzosen versuchten Ausfall auf die Sporeninsel zurück.

18. September. In der vorigen Nacht wurde die Festung mit grosser Heftigkeit beschossen; man drang in den gedeckten Weg vor Lünette 52 ein und fand das Reduit im Waffenplatz vom Feinde verlassen. Der Bau des Grabenniederganges vor Lünette No. 53 wurde über Nacht durch Ausgrabung von zu Tage her flüchtig bewirkt und demnächst der Holzausbau desselben vorgenommen. Der Feldtelegraph wurde bis zur dritten Parallele vorgeführt und sämmtliche Belagerungswerke mit ihm in Verbindung gebracht; es war dies die erste Verwendung desselben im Belagerungskriege.

19. September. In der Nacht wurde der Bau des Grabenniederganges vor Lünette 52 hergestellt. Der Grossherzoglich Badische Ingenieur-Lieutenant Kirchgessner, ein sehr braver Offizier, blieb in der Grabendescente. Das Theater in Strassburg wurde ein Raub der Flammen; das Bombardement erreichte alle Stadttheile und zerstörte ein Holzmagazin der Citadelle und zwei der grössten und schönsten Häuser der Steinstrasse durch Brand. Alsbald nach Fertigstellung des Couronnements vor beiden Lünetten ging die Artillerie mit dem Bau der Contrebatterien No. 51, 53 und 54 vor und armirte sie sämmtlich mit je zwei 6 pfündigen Geschützen.

Das zerstörte Theater

Die zerstörte Präfektur

20. September. Vor Lünette 53 wurde der Grabenniedergang fertig gestellt, wobei die Futtermauer der Contreescarpe durch eine Mine umgeworfen wurde; die erzeugte Bresche wurde auf 12 Fuss erweitert und gangbar gemacht. Die entstehenden Mauertrümmer verschütteten vom Graben jedoch nur so viel, dass etwa 3 Ruthen Grabenbreite noch zu überbauen übrig blieben, um den Grabenübergang fertig zu stellen. Dies geschah durch Hineinwerfen von gefüllten Sandsäcken, Erde, mit Steinen beschwerten Faschinen und Schauzkörben. Gegen 5 Uhr Nachmittags wurde diese Arbeit vollendet und der Uebergang nach dem Werke in einer Länge von 60 Fuss und einer Breite von etwa 18 Fuss bei einer Wassertiefe von 4-8 Fuss passirbar. Sofort ging die in der Nähe befindliche Tranchéewache - Lieutenant von Müller - des Garde-Füsilier-Regiments mit Mannschaften des Garde-Landwehr-Bataillons Cottbus - vor, erstieg die in der 18 Fuss hohen Escarpe gelegte Bresche und besetzte dieselbe. Das Werk war vom Feinde verlassen, das Innere aber von der rückwärts belegenen Befestigung eingesehen. Ingenieur-Lieutenant Frobenius recognoscirte das Innere der Lünette; er fand die Kehle offen, eine in der Mittellinie des Werkes errichtete grosse Capitaltraverse mit zwei überwölbten Durchgängen und einige Geschütze. Demnächst wurde, nachdem Artilleristen die zurückgelassenen Geschütze vernagelt und Pionire keinerlei Demolitionsminen gefunden, der Lünettenhof besetzt; der Feind eröffnete hierauf ein lebhaftes Infanteriefeuer, gegen welches die neue Besatzung sich so gut wie möglich zu decken versuchte. Auf die Nacht bildete die 3. Compagnie des Füsilier-Regiments No. 34 die Besatzung - eine Pionier-Compagnie unter Befehl des Hauptmanns Ledebur bewirkte, unter heftigem feindlichem Feuer die Verbauung im Werke, welche in Herrichtung gedeckter Communicationen nach dem in der Kehle anzulegenden Logement mit Brustwehr gegen die Hauptumwallung bestand. Die Mörserbatterien 49 und 50 gegen die Nebenwerke, sowie die Kanonenbatterie No. 55 wurden erbaut; in der eroberten Lünette 53 errichtete man die 7 pfünder Mörserbatterie No. 56.

21. September. Das nach dem Oberelsass entsendet gewesene Detaschement des General Keller kehrte zum Belagerungscorps vor Strassburg zurück. - Ueber Nacht und am Tage arbeitete man am Grabenniedergang vor Lünette No. 52 von zu Tage herab in die Tiefe und unter Anwendung zahlreicher Ablösungen, um mit diesem Bau möglichst rasch zu Ende zu kommen. Böschungen wurden mit Schanzkörben bekleidet, der Bau unter Verwendung von Eisenbahnschienen, die auf den Enden gehörig unterstützt wurden, bewirkt. Nach dem Wasser zu wurde der Durchbruch in der Erdcontreescarpe über Tag durch Schanzkörbe, Sandsäcke u. dergl. geblendet; Abends 8 Uhr wurde zum Bau des Grabenüberganges geschritten, welcher in einer 120 Fuss langen Tonnenbrücke bestand, deren Herstellung der Hauptmann Andreae vom Ingenieurcorps leitete. Um Geräusch zu vermeiden, wurde die Brückenbahn mit einer Strohschüttung bedeckt, um 10½ Uhr war der Bau vollendet. Eine Arbeiter-Abtheilung von 100 Mann, unter Befehl des Ingenieur-Premier-Lieutenant von Keiser I., nebst der 2. Compagnie des Füsilier-Regiments No. 34 ging über und fand die Lünette, welche mit einigen Geschützen armirt war, unbesetzt; sie erhielt jedoch von den rückwärtigen Festungslinien, namentlich von der dortigen Contregarde und dem Hornwerk No. 47-49 bedeutendes Feuer, welches unter namhaften Verlusten, die beabsichtigte, mit grosser Energie geleitete fortifikatorische Logirung im Werke nicht vererhinderte. Major von Quitzow vom Stabe des Ingenieurcorps, Tranchéenmajor im Dienst, blieb. Ingenieur-Hauptmann Roese leitete die Verbauung im Werke, die in Herstellung eines Logements hinter der Kehlpallisardierung und in Anlage einer dahin führenden Communication bestand; im  Innern der Lünette wurden später vier 7pfündige Mörser als Batterie No. 57 placirt. Der Verlust betrug in dieser Nacht 10 Todte und 38 Verwundete. Während des Tages dehnte sich das Bombardement über alle Stadttheile aus; die Präfectur brannte nieder und das Feuer in der Steinstrasse setzte seine Verwüstungen fort.

22. September. In der vergangenen Nacht blieb keine Stunde ohne Kanonade, die Granaten krepirten unaufhörlich in der Stadt, tödteten Menschen und richteten allerwärts arge Verwüstungen an. Lünette 52 wurde behauptet, es fielen übrigens mit derselben sechs 12pfünder mit zugehöriger Munition in die Hände der Belagerer; im Couronnement wurde der linken Face des Werkes gegenüber ein 6 pfünder aufgestellt. Die Verluste der letzten Tage hatten es nothwendig gemacht, die Verbandplätze vorzuschieben; sie wurden unter Anwendung von Eisenbahnschienen granatsicher eingedeckt und bei einigen derselben abessinische Brunnen angelegt.

23. September. Der Belagerer debouchirte in der vergangenen Nacht unter Benutzung des dortigen Koffers, aus der Kehle der Lünette No. 52 mittelst der Traversensappe gegen die Spitze des Glacis vor Contregarde 51. Hierbei wurde der preussische Ingenieur-Hauptmann Ledebur verwundet; er starb wenige Wochen später an dieser Verletzung. Diesem Offizier gebührt alle Ehre und Achtung für sein tapferes Verhalten; er war es, der durch kühnes Vordringen die Minen vor Lünette 53 entdeckte, und der durch den Graben vor Lünette 52 schwamm, um deren Kehlterrain zu recognosciren.

In derselben Nacht flog ein Pulvermagazin der Belagerungsbatterie No. 35 in die Luft, welches durch zwei französische Bomben gleichzeitig getroffen wurde. Bei einer anderen Batterie, No. 32, wurde die Magazindecke durchgeschlagen; im ersteren Fall explodirten 5 Ctr. Pulver und zerrissen den im Magazin beschäftigten Kanonier. Es war vorherzusehen, dass die in der Nacht vom 21. bis 22. erbaute Tonnenbrücke nach Lünette 52 führend, von keinem langen Bestande sein würde. Der Feind schoss sie daher auch schon im Laufe des Tages durch Bombenwürfe zusammen; man versenkte sie während der folgenden Nacht vollends bis auf die Grabensohle, füllte Faschinen, Erdsäcke, Schanzkörbe auf und stellte so einen festen Uebergang her. Da derselbe unausgesetzt Flankenfeuer von Lünette 54 und 55 erhielt, so wurde eine Brustwehr auf der linken Seite aus mit Sandsäcken gefüllten Schanzkörben in zwei Reihen über einander hergestellt. Die Breschbatterie No. 42 begann ihr Feuer gegen die rechte Face des Bastions No. 11.

24. September. In voriger Nacht wurde Breschbatterie No. 58 für 4 kurze 24pfünder gegen die linke Face des Bastion 12 erbaut und begann Morgens ihr Feuer. Die Traversensappe, welche im Innern des nach Lünette No. 52 führenden rückwärtigen Koffers angelegt worden war, gelangte bis nahe an den Kamm des Glacis vor Bastion 11, woselbst sie durch eine vorgefundene Traverse, die man durch Einschneiden eines Banketts zur Infanterie-Vertheidigung einrichtete, abgeschlossen wurde. Die Brandruinen, Zerstörungen aller Art vermehrten sich fortwährend in der Stadt, Bürger wurden auf den Strassen, in den Häusern, bei jeglicher Beschäftigung durch Granaten und Bomben verletzt und getödtet; eine der 21 Ctm.-Bombe fuhr durch drei Stockwerke bis in die Keller eines Hauses, alles auf ihrem Wege zerstörend.

Bastion 12

Bastion 12

25. September. In Lünette 53 wurde die Batterie No. 60 für 3 gezogene 6 pfünder eingerichtet; es wurde in Bastion No. 11, am

26. September in Bastion 12 eine vollständige Bresche erzeugt. Die Bastione 11 und 12 waren in Folge des gegen sie gerichteten Feuers in unförmliche Schutthaufen verwandelt und ein in letzteren. Bastion in der Spitze befindlicher überwölbter Geschützstand vollständig zerstört; das Gewölbe des Steinthores ward gänzlich zerschossen. Der Bau des Couronnements vor der Contregarde des Bastion 11 wurde von den Ingenieuren festgesetzt.

Bei den ausgezeichneten Leistungen der Belagerungsartillerie ist es Pflicht, die Energie und Ausdauer zu erwähnen, welche diese Truppe vor Strassburg an den Tag gelegt und der man es allein zu danken hat, dass nicht nur die Vertheidigungs-Artillerie der Festung so in Schach gehalten wurde, dass sie in der letzten Zeit fast nur bei Nacht aufzutreten wagte, sondern auch, dass der Ingenieurangriff bei ebenso umsichtiger als energischer und vorzüglicher Leitung in sehr kurzer Zeit zum Ziele gelangte.

Die verschiedenen Kaliber, welche die Artillerie vor Strassburg zur Anwendung brachte, waren lange 24 pfündige, kurze 24 pfündige, 12 pfündige und 6pfündige Rohrgeschütze, 21cm, 50pfündige, 25pfündige und 7 pfündige Mörser. In Summa wurden 193.722 Schuss und Wurf abgegeben; davon kamen 162.600 aus 197 preussischer und 31.112 aus badischen Geschützen. Täglich war ein Bahnzug von 32 Wagen erforderlich, um die benöthigte Munition herbeizuschaffen; während des Bombardements und der Belagerung wurden durchschnittlich pro Tag 1.200 Centner Metalleisen und Blei in die Festung geworfen. Zu der Zeit, wo die meisten Geschütze in Thätigkeit waren, also in den letzten drei Wochen der Belagerung ungefähr, erhielt die Festung bei mässiger Feuergeschwindigkeit während 24 Stunden etwa 6.000 Geschosse, von denen jedes einzelne eine besondere Sprengwirkung äusserte. Wallbüchsen, an besonders gute Schützen der badischen Division vertheilt, kamen von Beginn der Belagerung an zur Verwendung; man formirte Wallbüchsendetaschements, postirte sie in die am weitesten vorgetriebenen Laufgräben, um von hier aus gegen einzelne feindliche Schützen zu wirken.

27. September. An diesem Tage schwieg die Vertheidigung fast gänzlich und gab nur hin und wieder einige Lebenszeichen von sich. Aber noch während dies geschah, wurde unerwartet und überraschend für Alle Nachmittags 5 Uhr das Aufpflanzen weisser Fahnen auf dem Münster und den Bastionen No. 11 und 12 bemerkt; zugleich gab ein Festungsparlamentair die Absicht zu erkennen, dass der Gouverneur wegen Uebergabe der Festung zu verhandeln wünsche.

28. September. Morgens 2 Uhr wurde die Capitulation in Königshofen abgeschlossen und lautete sie in der Hauptsache wie folgt:

Artikel 1.

Um 8 Uhr Morgens am 28. September 1870 räumt General-Lieutenant Uhrich die Citadelle, das Austerlitzer-, Fischer-und Nationalthor; zu gleicher Zeit werden die deutschen Truppen diese Punkte besetzen.

Artikel 2.

Um 11 Uhr desselben Tages verlässt die französische Besatzung, einschliesslich Mobil- und Nationalgarde die Festung und legt die Waffen nieder.

Artikel 3.

Die Linientruppen und Mobilgarden werden Kriegsgefangene und marschiren mit ihrem Gepäck sofort ab; die Nationalgarde und Franctireurs sind gegen Revers frei und geben ihre Waffen auf der Mairie ab.

Artikel 4

Die Offiziere und die im Unteroffiziersrange stehenden Beamten gehen nach einem von ihnen zu wählenden Aufenthaltsorte gegen Reversausstellung auf Ehrenwort; diejenigen, die das nicht thun, gehen mit der Besatzung als Kriegsgefangene nach Deutschland.

Artikel 5

General-Lieutenant Uhrich verpflichtet sich, gleich nach vollzogener Niederlegung der Waffen sämmtliche militairische Bestände und Staatskassen ordnungsmässig auszuliefern.

 

Diese Capitulation unterschrieben von deutscher Seite der Oberstlieutenant und Chef des Generalstabes von Lescinsky und der Rittmeister und Adjutant Graf Henckel von Donnersmarck, von französischer Seite der Commandant von Strassburg, Oberst Ducasse, und der Oberstlieutenant und Artillerie-Sous-Director Mangin; sie wurde von General-Lieutenant von Werder bestätigt.

Saverner Tor

Saverner Tor

Den Deutschen fielen in Folge dieser Capitulation 451 Offiziere, 17.111 Mannschaften, einschliesslich 7.000 Nationalgarden und etwa 2.000 Kranke, 1.843 Pferde, über 1.200 bronzene Geschütze, 3.000 Centner Pulver, 12.000 Chassepotgewehre, 50 Locomotiven und grosse Vorräthe anderweiten Kriegsmaterials in die Hände. Die kriegsgefangenen Mannschaften wurden nach Rastatt geschafft.

In Gemässheit des Artikels 2 der Capitulation waren Abtheilungen aller Waffen des Belagerungscorps im Laufe des Vormittags zwischen der nach Zabern und Königshofen führenden Strasse aufgestellt, während die Franzosen zwischen Lünette 44 und Redoute 37 aufmarschirten. Den Vorbeimarsch der Letzteren eröffnete General-Lieutenant Uhrich, demnächst folgten Artilleriegeneral Barral und Admiral Exelmann, welcher die Rheinflotille event. commandiren sollte. Die Truppen marschirten anfänglich in Ordnung, dann in voller Auflösung; die Defilirung wurde durch den General-Lieutenant von Werder, im Beisein Sr. Königlichen Hoheit des Grossherzogs von Baden, abgenommen.

In Strassburg hatte sowohl General-Lieutenant Uhrich, wie auch der Präfect Proclamationen an die Bürgerschaft erlassen, in welchen sie ihre Theilnahme an dem harten Geschick der Einwohner während der Belagerung und die feste Zuversicht auf eine würdige und ruhige Aufnahme der neuen Verhältnisse aussprachen.

29. September wurde die Uebernahme der Bestände, Casernen etc. fortgesetzt, die zerstörten Communicationen hergestellt und frei gelegte; dazu gehörten vor allen die Festungsbrücken und Thorpassagen.

30. September, als am Geburtstage Ihrer Majestät der Königin und am 200jährigen Gedenktage der Besitzergreifung Strassburgs durch französische Truppen fand der Einzug des Belagerungsheeres, an der Spitze der General von Werder, statt. Dieses Ereigniss wurde durch einen Dankgottesdienst in der Thomaskirche verherrlicht. Die Belagerung kostete der Garnison etwa 2.000 Mann Todte und Verwundete, der Civilbevölkerung Strassburgs etwa 4-500 Personen und dem Belagerungsheer 43 Offiziere, 863 Todte und Verwundete.

Ohne der militairischen Ehrenhaftigkeit des würdigen und tapferen Gouverneurs irgend wie zu nahe treten zu wollen, so war doch - die Sache von rein militairischem Standpunkte betrachtet - der Zeitpunkt für eine Capitulation noch nicht eingetreten; die Folgezeit wird darüber wohl Aufklärung bringen. Der Mangel an Disciplin war allerdings der Vertheidigung ungünstig; indessen bleibt zu beachten, dass auch eine bessere Garnison nicht lange mehr Widerstand hätte leisten können, da der Aufenthalt auf den unaufhörlich beschossenen Wällen fast unmöglich geworden, eine Bresche vorhanden, die Citadelle ganz zerstört, ihr Stadtthor zerschossen war und der Sturm auf die Festung unter diesen Umständen und weil keine niedere Grabenbestreichung vorhanden war, sichere Aussicht auf Erfolg gehabt haben würde. Jedenfalls war durch die Capitulation einem oder mehreren Stürmen, welche unzweifelhaft neues Blutvergiessen und bedeutende personelle Verluste herbeigeführt haben würden, vorgebeugt, das Belagerungsmaterial und ein beträchtliches Truppencorps für andere Zwecke disponibel geworden. War somit die Einnahme von Strassburg für den Krieg von entschiedener militairischer Wichtigkeit, so trat diese doch zurück vor der politischen Bedeutung des Ereignisses: Strassburg, die deutsche Stadt, hat sich an uns ergeben, sie ist wieder deutsch geworden und wird es auch hoffentlich bleiben! In wenig Jahren wird die vom Kriege schwer heimgesuchte Stadt, deren Belagerungsschäden laut Abschätzung gegen 50.800.000 Frcs. betrugen, neu erblühen, ihre Wunden werden vernarben, die wir ihr mit schwerem Herzen geschlagen haben!

 

Letzter Stand: 04.11.2016